JANINA RAMIREZ: „FEMINA“


Sie habe nicht die Absicht, die Geschichte umzuschreiben, aber den Fokus auf der Grundlage alter und vor allem auch neuer Erkenntnisse zu verschieben, betont die britische Kulturhistorikerin Janina Ramirez im Vorwort zu ihrem jüngsten Sachbuch.
„Femina. Eine neue Geschichte des Mittelalters aus Sicht der Frauen“lautet der Titel. Wobei sich der chronologische Bogen vom prachtvollen Frauengrab in North Yorkshire aus dem 7. Jahrhundert über die Frauen des „Teppichs von Bayeux“ im 11. Jahrhundert bis zur englischen Mystikerin Margery Kempe aus dem 15. Jahrhundert über neun Jahrhunderte erstreckt.
Es sei umkfassend etabliert, dass Geschichte männlich rientziert sei, und es habe sich als Konsens eingebürgert, dass bedeutende Männer diese beherrschten. Frauen spielten danach selten wichtige Rollen, waren eher gesichtslos. Diese notorisch auf das maskuline Vorherrschen beschränkte Sichtweise habe sich allerdings erst mit dem Aufkommen des Nationalismus vollends manifestiert. Wobei die protestantisch geprägte Sichtweise in besonderem Maße für eine Marginalisierung der Rolle der Frauen gesorgt habe.
Ramirez aber richtet den Blick auf die erstaunlichen zahlreichen eben nicht wehr- und gesichtslosen Frauen im weit gefassten Zeitraum des Mittelalters. Als Dozentin und Forscherin u.a. in Oxford verweist sie dazu auf neueste Forschungsmethoden, die Frauenschicksale von erheblicher historischer Bedeutung ins rechte Licht zu rücken ermöglichen.
Ihre wissenschaftlich belegten Beispiele widmen sich Kriegerinnen und Anführerinnen, Künstlerinnen und Universalgelehrten – man denke nur an die allerdings allgemein anerkannte Hildegard von Bingen im 12. Jahrhundert – bis hin zu prägenden Königinnen und manchen Ausnahmegestalten.
Da erstaunen Persönlichkeiten wie Königin Aethelflaed im mittelenglischen Mercia, die im 9. Jahrhundert sogar aktiv als Heerführerin gegen die ersten Wikinger-Überfälle auftrat. Oder die weit berühmtere „Kriegerin von Birka“, die im heutigen Schweden offenbar selbst in herausragender Rolle militärisch aktiv war.
Historikerin Ramirez beschreibt jede ihrer Zielpersonen mit fundiert wissenschaftlichen Erkenntnissen und manches offenbart neue oder sogar stark vom bisherigen Geschichtsbild abweichende Sichtweisen. So sehr das auch verdienstvoll, wirkt manches jedoch auch überinterpretiert bzw. deutlich feministisch angehaucht.
Da erscheint nicht nur der Titel „Femina“ als Fingerzeig, die Autorin macht sogar eine heikle thematische Vorgabe durch das einleitende Kapitel. Das nichts mit dem weitgefassten Begriff des Mittelalters zu tun hat, sondern vielmehr ins 20. Jahrhundert führt. Da schildert sie die spektakuläre und tödlich endende Demonstration einer Suffragette, die sich 1913 beim berühmten Pferderennen von Epsom vor die herangaloppierenden Tiere stürzte.
Derlei Ansätze sind geeignet, zumindest Zweifel an der Wissenschaftlichkeit einzelner Passagen und der Interpretation von aufgeführten Auslegungen zu wecken. Verdienstvoll ist dieser neue Blickwinkel der Geschichtsforschung gleichwohl, andererseits werden – allseits anerkannte – herausragende Frauen, die historisch Schwergewichte waren, wie Eleanor von Aquitanien (1122-1204) oder Elizabeth I. von England (1533-1603) nicht einmal erwähnt.
Fazit: ein interessantes Sachbuch mit teils überraschenden neuen Aspekten, allerdings auch mit der Vermutung einer nicht unerheblichen feministischen Zielrichtung belastet.

# Janina Ramirez: Femina. Eine neue Geschichte des Mittelalters aus Sicht der Frauen (aus dem Englischen von Karin Schuler); 517 Seiten, div. SW-Abb.; Aufbau Verlag, Berlin; € 28

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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