GERHARD J. REKEL: „MONSIEUR ORIENT-EXPRESS“


Der Terra X-Film „Orient-Express – ein Zug schreibt Geschichte“ von Gerhard J. Rekel war 2020 ein großer Publikumserfolg. Nun hat der Autor, Regisseur und Romancier dem Visionär Georges Nagelmackers ein Buch gewidmet, das jüngst den ITB-Award 2023 in der Kategorie „Das besondere Reisebuch“ erhielt.
„Monsieur Orient-Express“ lautet der Titel. Doch es sei vorweg gesagt: dies mag zwar als Biografie angelegt sein, insgesamt jedoch ist ein spannendes Sachbuch daraus geworden. Das das Leben des Königs der Züge beschreibt, mindestens ebenso aber auch die stürmische Entwicklungsgeschichte der Eisenbahn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Als der belgische Bankierssohn Georges Nagelmackers (1845-1905) geboren wird, sind Schiffe und Eisenbahnen die wichtigsten Verkehrsmittel für große Entfernungen. Erfreulich ist eine Bahnfahrt für Passagiere aber keineswegs, denn die Waggons sind hächst primitiv. Hinzu kommt die Kleinstaaterei in Europa und das in manchen Ländern sogar mehrere Eisenbahngesellschaften miteinander konkurrieren und teils sogar unteerschiedliche Spurweiten gibt.
Den Anstoß für Nagelmackers, zum Eisenbahn-Pionier zu werden, gab dann das Privatleben des Sohnes aus gutem Hause: der hatte sich unsterblich in seine eigene Cousine verliebt. Um diese unwillkommene Amour fou zu beenden, schickten ihn die Eltern zu einer Auszeit in die USA. Hier nun entdeckte der junge Mann seine Leidenschaft für die Eisenbahn.
Die war in den Jahren um 1867 im gewaltigen Aufbau, um den ganzen Kontinent zu durchqueren. Die Aufbruchstimmung nach dem Bürgerkrieg riss alle mit und Nagelmackers faszinierten insbesondere die für die endlos langen fahrten erstmals eingeführten Schlafwagen von George M. Pullman. Das Prinzip an sich begeisterte den Belghier zwar, nicht jedoch die primitive Ausgestaltung dieser ungemütlichen Holzgebilde.
Kaum war er heimgekehrt, machte er sich daran, ein Zugreisesystem zu konzipieren, das Waggons mit Heizung, Toiletten und sogar Schlafabteile vorsah. Mit viel fantasie und technischem Geschick tüftelte er nicht nur bequemere Waggons aus sondern insbesondere Schlagwagen mit zumutbarem Komfort.
Doch reguläre Nachtzugverbindungen stießen noch auf unverrückbare Probleme, so müsste eine Linie vom belgischen Hafen Ostende bis nach Wien nicht nur durch mehrere Staaten fahren – achtmal Bahngesellschaft und Züge wechseln wären erforderlich. Gleichwohl arbeitet Nagelmackers unermüdlich an seinem Projekt und das er von seinem dauerhaft abweisenden Vater weder persönliche noch finanzielle Unterstützung erhielt, was das Auftreiben von Geld ein immer wiederkehrendes Problem.
Und dann platzte in den Aufbau eines Schlafwagensystem 1870/71 der Deutsch-Französische Krieg. Dennoch gründete der stets wagemutige Jungunternehmer bereits am 1. Oktober 1872 die CIWL, die „Compagnie Internationale de Wagon-lits“. Und bereits ab Sommer 1873 gelangen die erste durchgehende Netzverbindung mit angehängten Schlafwagen zwischen Paris und Wien.
Der Erfolg gab Nagelmackers entgegen vieler Vorurteile, bürokratischer Hindernisse und dem europäischen Flickenteppich recht. Doch er wollte mehr, etwas, das man heute Ferntourismus nennt: die Grundidee des kontinentalen Durchgangsverkehrs, wenn auch damals nur für betuchte Reisende erschwinglich.
Wegen all der Widerstände, windiger Geschäftspartner und vieler anderer Probleme wie einer Fahrplanerstellung vor Einführung der Weltstandardzeit 1884 wurde die Verwirklichung der nächsten weitergehenden Idee zu einem regelrechten Wirtschaftskrimi: eine Eisenbahnverbding von Paris bis Konstantinopel. Ein Projekt, das bis zur Jungfernfahrt 13 Jahre benötigte.
Und dann war es im Oktober 1883 so weit: der „Orient-Express“ ging erstmals auf Fahrt mit einer Fahrzeit von 80 Stunden. „Der Orient-Express ist eine Revolution in der Kunst des Reisens“ begeisterte sich die Londoner „Times“. Dabei warn die Fahrten zunächst Mogelpackungen, denn es fehlten auf dem Balkan einige hundert Kilometer Schienenstränge, die anderweitig überbrückt werden mussten.
Erst ab 1889 war der durch viele Romane und Filme weltberühmt gewordene Orient-Express durchgehend über Serbien unterwegs bis in die Hauptstadt des Osmanischen Reiches. Diese fast 3.200 Kilometer wurden dann zweimal wöchentlich in gut 67 Stunden bewältigt. Nagelmackers Visionen gingen aber immer weiter bis ins Russische Reich und gar bis nach Peking.
Doch der verdienstvolle Neuerer, der immer wieder nationale Schranken zu durchbrechen verstand, hatte wirtschaftlich kein gutes Händchen. Was ihn später so gravierend in Turbulenzen stürute, dass es ihn nicht nur wirtschaftlich an den Abgrund brachte, so dass er bereits mit 60 Jahren an Herzversagen starb.
Das alles fesselt wie ein hervorragend erfundener Roman, der allerdings schon wegen des recht bescheidenen Anteils des privaten Georges Nagelmackers nur bedingt biografisch ist. Fazit also: ein erzählendes Sachbuch und für Eisenbahn-Liebhaber ein absolutes Muss.

# Gerhard J. Rekel: Monsieur Orient-Express. Wie es Georges Nagelmackers gelang, Welten zu verbinden; 288 Seiten, div. Abb.; Kremayr & Scheriau Verlag, Wien; € 25

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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