MELISSA FU: DER
PFIRSICHGARTEN
Die Geschichte vom überreich blühenden Pfirsichgarten ist über 1000 Jahre alt und
zählt zu den großen chinesischen Sagen. Ein Fischer entdeckt dieses Blütenparadies mit
seinen glücklichen Bewohnern und muss sich entscheiden, ob er in seine Welt zurückkehren
will.
Wie ein Motiv ziehen sich die einzelnen Abschnitte des Märchens nun durch den Roman von
Melissa Fu, in dem dies dies von großer Bedeutung ist. Der Pfirsichgarten
lautet denn auch der Titel der Geschichte, die entgegen dem Titel allerdings alles andere
als von Idylle erzählt sondern von Krieg, Heimatverlust und Fremdsein.
Inspiration war die eigene Familiengeschichte der in den USA aufgewachsenen Autorin mit
den chinesischen Wurzeln. Die erfuhr erst spät Genaueres über die Vergangenheit ihrer
Familie, als ihr Vater endlich sein Schweigen brach. Einen solchen Vater hat auch die
Halbchinesin Lily Dao, nur dass der noch eiserner schweigt.
Geboren als Renshu Dao, verliert er 1938 als Vierjähriger seinen Vater im
Japanisch-Chinesischen Krieg. Seine Mutter Meilin ist eine starke Frau und als die
japanischen Eroberer heranmarschieren, flüchtet sie mit der übrigen Familie vor der
Soldateska. Angeführt von Meilins Schwager Longwei, wohlhabend und charmant, aber nicht
wirklich vertrauenswürdig.
Auf der Flucht sorgt sich Meilin liebevoll um den kleinen Renshu und zu den wichtigsten
Aspekten, um ihn vor zu viel Angst zu bewahren, gehören die allabendlichen Abschnitte aus
der Sage vom Pfirsichgarten. Dass die Mutter die letzten Kapitel mit einem freundlicherem
als das überlieferte traurige Ende erzählt, wird Renshu erst als Erwachsenem bewusst.
Doch die Geschichtensammlung hat eine noch viel größere Bedeutung für sein Schicksal,
denn sie ist auf einer äußerst wertvollen Seidenrolle aufgezeichnet. Als die Familie im
Laufe des nunmehr zum Zweiten Weltkrieg gewordenen Geschehens auseinandergerissen wird und
Meilin sich mit ihrem Sohn erst nach Shanghai und im anschließenden Bürgerkrieg nach
Taiwan durchschlägt, bleibt die Rolle der einzige wertvolle Besitz.
Erst auf Taiwan finden die beiden wieder so etwas wie Ruhe und Sicherheit. Und Renshu
entwickelt sich mit viel Fleiß zu einem solch guten Schüler, dass er schlie0ßlichz ein
Stipendium für die USA erhält. Um ihm diese großartige Zukunftsaussicht zu
ermöglichen, verkauft Meilin heimlich die Geschichtenrolle.
In Amerika nennt sich Renshu fortan Henry Dao und er hält sich von allem Chinesischen
fern. Zu groß ist die Angst vor den Spitzeln Chinas und um das Wohlergehen der Mutter,
die ihrem Sohn aus schwerwiegenden Gründen nicht begleiten kann. Von seiner Vergangenheit
erzählt Henry nur das Allernötigste, auch als er die amerikanische Staatsbürgerschaft
erhalten hat und als Wissenschaftler in Los Alamos, New Mexico, arbeitet.
Selbst Ehefrau Rachel weiß fast nichts und bei Tochter Lily achtet er darauf, dass sie
als richtige Amerikanerin ohne Kontakt zur chinesischen Kultur aufwächst. Sie aber
drängt als junge Erwachsene auf Wissen über ihre Wurzeln väterlicherseits.
Über 70 Jahre zieht sich diese Familiengeschichte hin und so viel sei noch verraten: es
wird einen Pfirsichgarten geben nicht nur für den schließlich betagten Henry Dao. Das
alles überzeugt nicht zuletzt durch die klare bildhafte Sprache und weil es ganz und gar
authentisch gehalten ist.
Fazit: eine ebenso berührende wie anspruchsvolle Geschichte, auch wenn es anfangs nicht
einfach ist, sich in die so fremde chinesische Welt hineinzulesen.
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