BYEONG-MO GU: FRAU MIT
MESSER
Mit nun 65 und völlig alltäglich gekleidet ist sie als eine Meisterin der
Unauffälligkeit in der dicht besetzten U-Bahn unterwegs. Als sie dann beim Aussteigen im
noch dichteren Gewühl der Bahnstation ihre Zielperson ins Jenseits befördert, fällt
zunächst nicht einmal auf, dass diese nicht nur hingefallen ist.
Mit diesem kühl und präzise durchexerzierten Mord beginnt Frau mit Messer,
ein höchst ungewöhnlicher Krimi der südkoreanischen Erfolgsautorin Byeong-Mo Gu.
Bereits 2012 erschienen, aber erst 2022 ins Englische übersetzt, lernt man Gu nun auch
auf Deutsch kennen. Und damit auch eine kalt und rüde wirkende Gesellschaftsrealität, in
der der ostasiatische Raubtierkapitalismus offenbar wenig Hemmungen kennt.
Die 65-Jährige, die hier als zentrale Figur fungiert, arbeite unter dem Einsatznamen
Hornclaw und das als versierte Auftragskillerin. Seit über 40 Jahren emotionslos und
effizient. Doch sie beginnt erstmals an ihren Fähigkeiten zu zweifeln, die Sicherheit,
mit der sie bevorzugterweise ihre Messer einsetzt, wankt.
Da schmerzen Gelenke und kürzlich hat sie sich eine schwere nachwirkende Verletzung bei
einem Auftrag zugezogen durch einen Anfängerfehler. Zudem argwöhnt sie, dass man
in der einst von ihr mitbegründeten Agentur für aktive
Schädlingsbekämpfung daran denkt, sie aufs Altenteil zu schicken.
Ohnehin drängen viele Jüngere nach in den zahlreichen Agenturen mit dem kalten
mörderischen Geschäftsmodell, dessen sich Politiker, Unternehmer und andere diskret aber
auch ungeniert bedienen, um missliebige Zeitgenossen eliminieren zu lassen.
Während bei Hornclaw zu den Zweifeln aber auch noch unzuträgliche sentimentale
Anwandlungen ihren sonst so abgeschirmten Single-Lebenswandel mit Appartement und alter
stoischer Hündin ihre Selbstsicherheit zum Wanken bringen, entfaltet sich allmählich
auch der Weg von der überflüssigen Fresserin einer Hungerleiderfamilie über
sklavenähnliche Arbeit bei Verwandten bis in den Job der Killerin.
Wie sie aus blanker Not erstmals tötete und ihr Chef Ryu dabei nicht nur ihre
erstaunlichen Fähigkeiten erkannte, sondern mit ih an seiner seiner Seite ein profitable
Truppe von Schädlingsbekämpfern aufbaute, wird kühl, phasenweise fast
reportageartig geschildert. Es verwundert kein bisschen, dass da bei der auf nüchternes
Funktionieren angewiesenen Frau kein Raum für Gedanken an ein privates Lebensglück
bleibt: ein bloßes Lebendigsein.
Da schaffen Anwandlungen wie die seltsamen Gefühle für den jungen Arzt, der sie nach der
schweren nächtlichen Verletzung behandelte und sie nicht verriet nichts als
Verwirrung. Viel schlimmer aber ist ein aufkommender Verdacht gegen den jungen
Agenturkollegen Bullfight.
Nach anfänglichen hämischen Frotzeleien gegen Omi als Killerin im
Rentenalter werden seine Attacken immer offensiver. Hornclaw erlebt kaum erklärliche
Zwischenfälle, die nur von ihm angezettelt sein können. Und während sie zunehmend
Paranoia entwickelt, weiß der Leser längst, dass Bullfight ein ganz heimtückisches
Spiel aufzieht.
Es war Hornclaw, die vor 20 Jahren seinen Vater auftragsmäßig eliminiert hat, da war
Bullfight 13 und jetzt will er Vergeltung. Was den bis dahin eher ruhig erzählten
Roman nun in ein dramatisches Finale mit einem filmreifen blutigen Ballett treibt.
Frau mit Messer könnte man einen feministischen Krimi nennen, noch mehr aber
fesselt und beeindruckt er als souverän ausgebreiteter Gesellschaftsroman. Der sich
aufgrund einiger expliziter Gewaltszenen jedoch für zartbesaitete Leser auf keinen Fall
eignet.
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