SARAH JÄGER: „SCHNABELTIER DELUXE“


Die 15-jährige Kim hat ein massives Aggressionsproblem, das sie dummerweise auch auslebt. Als sie nun nach der 6 im Physiktest die edle Kaffeemaschine samt etlicher Tassen aus dem Fenster des Lehrerzimmers pfeffert, ist Schluss mit lustig.
Mit diesem knackigen Auftakt beginnt Sarah Jägers neuer Jugendroman „Schnabeltier Deluxe“ und die widerborstige Kim fungiert selbst als Ich-Erzählerin. Sie handelt sich mit diesem jüngsten Ausraster nicht nur den Verweis von der Schule ein, der Fall hat sich auch so herumgesprochen, dass keine andere Schule in der Stadt sie aufnehmen will.
„Die Mutter und ich leben in einer Fernbeziehung“ betont Kim zum Verhältnis zu ihrer einzigen Verbündeten. Aber selbst ihr gegenüber ist sie spröde und unnahbar. Doch die Alleinerzieherin weiß immerhin einen letzten Rettungsanker: ihr langjähriger Ex René ist nach dem Ende der Beziehung in sein Heimatdorf zurückgezogen und er hat einen alten Kumpel in der dortigen Schule, der bereit ist, Kim aufzunehmen.
Nach einem letzten Auftritt zu Hause mit verwüsteten Türen geht es nun also zu René – allein, denn Mutter hat ja ihren Job im Krankenhaus in der Stadt. Mit dem Bus geht es in eine regelrechte Ödnis und der Fahrer macht ihr an der Endstation klar: „Verscherz es dir nie mit dem Busfahrer, wenn du hier wohnst. Oder ich lass dich hier verrotten.“
Nun also das spießige Haus mit dem freundlichen unaufgeregten René. Aber auch mit der biestigen Tante Agnes und ihren Macken. Doch Kim ahnt, wie sehr das alles ihre letzte Chance ist. Nicht umsonst hat sie sich mit orangefarbenem Edding „Du vermasselst das nicht“ auf den Unterarm geschrieben.
Mit einiger Mühe passt sie sich ein, um doch noch den Abschluss der Klasse 10 zu schaffen. Und sie jobbt an der Tankstelle, um der Mutter den zuletzt angerichteten Schaden ersetzen zu können. An der Tanke taucht dann auch der etwas seltsame Janne auf, der im Frisörladen im Dorf arbeitet. Immer wieder kommt er, lässt sich durch nichts abschrecken und quasselt Kim voll.
So viel Annäherung und Zuwendung ist ihr ungewohnt, aber irgendwie nicht wirklich zuwider. Zumal sie feststellt, dass Janne wie sie ein Aggressionsproblem hat. Worauf er erstaunt erwidert: „Ich bin nie aggressiv.“ Genau das sei eben sein Aggressionsproblem, kontert Kim. Und dann wird die auch recht spezielle Alex(andra Sofie) ein Trio mit sehr eigener Chemie aus den Dreien.
Die spröde und ewig auf Krawall gebürstete Kim durchläuft einen subtilen Wandel und vermag schließlich sogar ein Spur Nähe zuzulassen. Diese Entwicklung ist psychologisch stimmig geschrieben und überzeugt, obwohl die Gründe für ihre Probleme kaum angedeutet werden.
Dieser kluge Roman mit seinem knochentrockenen bis sarkastischen Witz lebt sowohl von den hervorragenden Dialogen wie auch von den komplexen Figuren. Fazit: ein Lesevergnügen mit Sogwirkung für junge Leser ab 14 und das keineswegs nur für weibliche.

# Sarah Jäger: Schnabeltier Deluxe; 204 Seiten; Rowohlt Rotfuchs, Hamburg; € 20

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) 

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