PETER LONGERICH: „DIE SPORTPALASTREDE 1943“


„Wollt Ihr den totalen Krieg? Wollt Ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?“ In diesen rhetorischen Fragen gipfelte am 18. Februar 1943 die berühmt-berüchtigte Aufputschrede von Dr. Joseph Goebbels.
Unter dem Titel „Die Sportpalastrede 1943. Goebbels und der 'totale Krieg'“ widmet sich Peter Longerich dieser infernalischen Inszenierung, die vor nunmehr 80 Jahren über den Äther ging. Der emeritierte Professor für moderne Geschichte am Royal Holloway College der London University und der Bundeswehr-Universität in München schildert dabei zunächst die Ausgangslage in diesem Winter 1942/43.
Am 3. Februar 1943 hatte die in Stalingrad eingekesselte 6. Armee kapituliert, das Afrika-Korps erlitt schwere Rückschläge und auch sonst waren die Zeiten der Siegeszüge unübersehbar vorbei. Goebbels, der ebenso fanatische wie narzisstische Minister für Volksaufklärung und Propaganda, übte intern Kritik an zu wenig Durchsetzungswillen im Apparat um Hitler.
Nun wollte er seinem „heißgeliebten Führer“ vor Augen führen, dass er es besser konnte und sein wichtigster Unterstützer war. Skrupellos schob er sich in den Vordergrund und die große Rede zur Lage der Nation sollte sein Glanzstück dabei werden. Handverlesen waren an diesem Tag die 15.000 Zuhörer im Berliner Sportpalast.
Diese „alte Kampfstätte des Nationalsozialismus“ war eine Mehrzweckhalle ohen störende Pfeiler in dem 110 Meter langen und fast 20 Meter hohen Innenraum. Von 17 bis 19 Uhr redete Goebbels hier in pathetisch-feierlicher Stimmlage und die ausgeklügelte Inszenierung war als eine Art Dialog mit dem Publikum ausgelegt. Das bei den Ausführungen zu seinen zehn rhetorischen Fragen an den „richtigen“ Stellen frenetisch reagierte.
Der mittlere Teil des Buches offeriert die gesamte Rede, der jeweils Erläuterungen Longerichs zu den einzelnen Passagen gegenübergestellt sind. Auffällig ist die Offenheit, mit der hier die lange vor der Öffentlichkeit verborgene Wahrheit über die kritische Kriegslage beschrieben wird.
Zugleich beschwört Goebbels auf diese Grundlage einen großen Abwehrkampf herauf gegen den „Ansturm aus der Steppe“, derer sich nicht nur das heldenhafte Deutsche Reich sondern der gesamte Kontinent erwehren müsse. Das Feindbild umfasst den Bolschewismus und noch intensiver das Judentum. Als das türmt der Redner zu der Forderung nach der noch totaleren Kriegsführung auf. Wozu er auch all jene Eliten und Luxusbereiche aufzählt, die es zugunsten der Kriegsführung zu beschneiden bzw. einzubeziehen gelte.
Die von Longerich zugrunde gelegte Version der Rede ist übrigens nicht der vor Ort gesprochene Originaltext, vielmehr wertet der Historiker die um 20 Uhr im Rundfunk ausgestrahlte Version aus. Dass es sich um eine – eventuell „nachgebesserte“ - Aufzeichnung und keine Live-Übertragung handelte, blieb den Zuhörern an den Volksempfängern unbekannt.
Obwohl Ausschnitte der Rede in den Kino-Wochenschauen gezeigt wurden, ist nicht bekannt, ob es je eine vollständige Filmdokumentation dieses historischen Ereignisses gegeben hat. Den überlieferten Tagebüchern Goebbels' ist im Übrigen dessen überschäumende Begeisterung über seinen Auftritt zu entnehmen.
Seine Hoffnungen, in der Führungsriege nach diesem Triumph noch mehr Macht er erlangen, erfüllten sich gleichwohl nicht. Auch die so positiven Berichte des SD über die Stimmungslage in der vermeintlich so geschlossenen Volksgemeinschaft zeigten ein eher uneinheitliches Bild, denn die erstmals bestätigten Wahrheiten über die kritische Lage schürten vielfach eher Ängste.
Auch die Begeisterung des Redners über das doch so positive Medienecho im Ausland entsprach im wesentlichen dem verstellten Blick des Ministers, der ohnehin allgemein als Inkarnation der Lüge angesehen wurde. Die Einschätzung der Rede war sogar kontrapunktiv, denn sie wurde als das eingeordnet, was sie ja auch war: ein Zeichen der tiefen Krise der deutschen Kriegsführung.
Fazit: eine der infamsten Reden der Weltgeschichte wird hier bis in die Details untersucht und als Meisterwerk der alles verdrehenden Propaganda entlarvt. Peter Longerich hat hiermit ein spannend zu lesendes Standardwerk zum Thema vorgelegt.

# Peter Longerich: Die Sportpalastrede 1943. Goebbels und der 'totale Krieg'; 206 Seiten; Siedler Verlag, München; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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