KEVIN BARRY: NACHTFÄHRE NACH
TANGER
Da sitzen zwei heruntergekommene alte Kerle in der Wartehalle am Fährterminal im Hafen
von Algeciras. Knorrige Iren, einst richtige kleine Gangster, jetzt eigentlich nur noch
rückwärtsgewandt.
Maurice und Charlie in einer irgendwie trostlosen Nacht, Kumpel, sogar so etwas wie
Freunde, warten sie auf Dilly und die Nachtfähre nach Tanger - so der Titel
von Kevin Barrys jüngstem Roman. Diese Dilly ist die Tochter von Maurice, die vor Jahren
aus der Tristesse der irischen Heimat abgehauen ist. Angeblich lebt sie als Streunerin und
ihm ist zu Ohren gekommen, dass sie in dieser Nacht im Terminal auftauchen würde.
Er weiß nicht, ob und wann sie kommen wird. Und in welcher Richtung, ob sie hier anlandet
oder von hier wegfahren will nach Marokko. Abgetakelt wie die beiden sind, erinnern sie
sich an ihre Zeiten im Drogengeschäft, wo sie nie so richtige Größen waren.
Und dabei springen ihre Erinnerungen in die besten Jahre, die auch nicht glorreich waren
mit Tagen kalt wie Hexentitten. Egal ob das krause Liebesleben oder ihr
kriminelles Tun, klar ist, dass die besten Zeiten längst hinter ihnen liegen. Nun sitzen
sie also in diesem öden Hafen im Oktober 2018 und hier roch die Luft morbide nach
Mittelalter.
Es tut sich nicht viel in diesem Roman, der von seiner dichten Atmosphäre und dieser
grobkörnig poetischen Sprache lebt. Da sind diese beiden Verlierer auf der Nachtwache und
sie wirken, als warteten sie auf Godot im trüben Licht von Algeciras.
Und je mehr die Beiden Konturen und Tiefe bekommen, desto mehr erinnern sie an Gestalten,
wie sie Graham Greene und Charles Bukowski mit aller Rauheit gemeinsam erfunden haben
könnten. Der Humor ist grob und bitter und manches schlägt um ins Absurde.
Nachtfähre nach Tanger ist ein Rohdiamant an Charakterzeichnung und
Vergänglichkeit und Thomas Überhoff hat ihm mit seiner vorzüglichen Übersetzung den
ganz eigenen irischen Sprachduktus des Original bewahrt.
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