CORMAC McCARTHY: DER
PASSAGIER
16 Jahre nach seinem großen Endzeitroman Die Straße legt der inzwischen
89-jährige Pulitzer-Preisträger Cormac McCarthy wieder einen Roman vor. Ein gewaltiges,
komplexes Werk, dessen erste Schreibansätze bis in die 70er Jahre zurückreichen.
Der Passagier lautet der Titel und er beginnt mit dem Fund von Alicia, die
nach ihrem winterlichen Suizid eine zentrale spielt, obwohl sie nicht mehr lebt. Die eben
20-Jährige war einerseits bildschön, vielmehr jedoch eine geniale Mathematikerin und
Geigenspielerin. Und sie litt unter paranoider Schizophrenie.
Zudem war sie die große Liebe von Bobby Western, den sie ihrerseits ebenfalls liebte. Was
für Beide ein zutiefst quälendes Problem bedeutete und jeglich Erfüllung unmöglich
machte, denn: Bobby und Alicia waren Bruder und Schwester. Auch er sehr attraktiv und ein
hervorragender Mathematiker, wenngleich mit dem Wissen, ihrer Brillanz nicht ebenbürtig
zu sein.
Nun aber schreibt man die 80er und Bobby hat auch acht Jahre nach dem Verlust seiner
Schwester noch keine Ruhe gefunden. Nach abgebrochenem Physikstudium und kurzer Karriere
als Rennfahrer arbeitet er jetzt als Tieftaucher. Und sein jüngster Auftrag hort sich
ganz nach dem Auftakt eines veritablen Thrillers an.
Er soll ein Flugzeug untersuchen, das im Golf von Mexico abgestürzt ist. Drinnen findet
er neun tote Passagiere vor, einer aber fehlt und mit ihm auch die Blackbox. Als nirgends
eine Meldung über den Absturz in den Medien erscheint, dafür aber zwei wissbegierige
Männer in dunklen Anzügen bei ihm zuhause auftauchen, beginnt es ungemütlich zu werden.
Doch dieser Plot kommt bis zum Ende nicht zu einer wirklichen Auflösung, dafür mäandert
Bobby durch ein unstetes Leben auf der Flucht vor den anonymen Verfolgern. Das immer
wieder ausufert in ganz andere Wissensgebiete, die wie die Quantentheorie und andere
hochwissenschaftliche Bereiche selbst manchen akademischen Leser überfordern dürften.
Aber auch eine obsessive Qual treibt ihn, die auch Alicia schon schwer belastete: ihre
Eltern waren seinerzeit an der Entwicklung der ersten Atombombe in Los Alamos beteiligt
und für die Geschwister erwuchs daraus das Gefühl, mit einer Erbsünde belastet zu sein.
Dann tauchen wieder und immer erneut Passagen mit Alicia und den Chimären auf, mit denen
sie halluziniert und kommuniziert. Eine wahre Frak-Show von Fantasiegestalten, angeführt
von einem Zwerg, der Flossen anstelle von Händen hat. Da hinein drängen schwere Themen
wie die Welterklärung, die Quantenphysik und der Sinn des Lebens falls es denn
einen gibt.
Und es endet an einem neuen, fernen Fluchtort, wo Bobby einen Brief an seine tote
Schwester über ihre unerfüllte Liebe schreibt. Gleichwohl ist dies ein
hochintellektueller Roman, ein mathematischer, ein analytischer Roman mit Sätzen, die
zwischen Brillanz, Sinnleere und banalem Unsinn kein wirkliches Ziel finden.
Reich an Themen von gewaltiger Bedeutung, zuweilen fremdartig, quecksilbrig und tief
melancholisch erweist sich Der Paqssagier als ein Spätwerk, das einerseits
genialisch und überwältigend ist, andererseits aber auch verwirrend und schlicht und
einfach: schwere Kost.
Wer sich dieser Herausforderung stellen mag, kann sich tief in intellektuelle Höhenflüge
und brachiale Ausflüge in eine sehr eigene geistige Welt entführen lassen, Und dann
bietet sich auch als eine Art Ergänzung McCarthys quasi parallel veröffentlichter Roman
Stella Maris an. So heißt die psychiatrische Anstalt, in der Alicia
freiwillig Unterschlupf gesucht hatte.
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