TAHMINA ANAM: UNSER PLAN FÜR
DIE WELT
WAI steht für We are infinite (in etwa Wir sind unendlich) und
ist eine raffinierte Internetplattform, die als glaubwürdiger Ersatz für Gott allen
Skeptikern dienen soll.
Den genialen Algorithmus hat Asha Ray während ihrer Zeit als Doktorandin für Künstliche
Intelligenz ersonnen. Sie ist auch die Ich-Erzählerin in Tahmima Anams neuen Roman
Unser Plan für die Welt. Eingangs lernt dioe Tochter einer Apothekerfamilie,
die einst aus Bangladesch in die USA eingewandert ist, die Utopia-Organisation kennen.
Auf verschiedenen Feldern arbeiten dort Start-ups, die autark und absolut ökologisch auf
die als sicher angenommene Nach-Welt hinarbeiten. Asha arbeitet derweil an einer KI mit
Empathie, zugleich begegnet sie Cyrus Jones wieder, ihrem Jugendschwarm (einseitig!) aus
Highschool-Zeiten. Der war damals ein brillanter Sonderling und verschwand ohne
Schulabschluss.
Nun erblüht in Windeseile die ganz große Liebe und nach kurzer Zeit kommt es sogar zur
Spontanhochzeit. Und dieser Meister der Rituale mit dem natürlichen Charisma ist genau
das Pendant, um Ashas genialem Empathie-Portal die noch fehlende religiöse Dimension
hinzuzufügen. Zielpersonen sollen jene 37 Prozent der Menschen sein, die nicht an
Gott glauben, weil sie ihrer politischen Einstellung oder ihrer sexuellen Orientierung
wegen keinen Zugang zu irgendeiner organisierten Religion finden.
Wie dieses Angebot einer Kombination aus persönlich zugeschnittenem Ritual und
Gemeinschaft sich entwickelt, der komplizierte Weg zum Start-up und dessen Gründung und
Entwicklung als Unternehmen das liest sich ebenso spannend wie die perfekt damit
verknüpfte Liebesgeschichte. Die im Übrigen ohne sentimentalen Schwulst auskommt und
ganz real wirkt.
Der große Einstieg bei Utopia und der anfangs holprige und dann phänomenale Erfolg von
WAI erweisen sich als skurril und teils regelrecht bizarr. Zugleich wird der rasante
Aufstieg vor allem für die Beziehung von Asha und Cyrus bald zum Sprengstoff.
WAI basiert auf Überzeugungen und Leidenschaften und da wird Cyrus mit seiner Begabung
für das Kreieren entsprechender Rituale zum Guru und Aushängeschild des Portals. Asha
aber nicht zuletzt auch als Person-of-Colour - unter überwiegend
weißen Männern wird als Mastermind des Algorithmus in den Hintergrund und
schließlich sogar aus dem Firmenvorstand verdrängt.
Bis sie ihm vorwirft: Du plusterst dich mit etwas auf, was sich deine Frau
ausgedacht hat, und verkaufst es als dein eigenes Ding. Worauf er erbost kontert,
dass sie ihn entgegen seinem grundsätzlichen Desinteresse an kommerziellen Dingen
gezwungen habe, Cyrus der Große zu werden.
Es bleibt bis zuletzt verrückt und zugleich vermutlich ziemlich realistisch. Vor allem
aber hat Tahmima Anam das alles so souverän und glaubwürdig geschrieben, dass es ein
großes, anspruchsvolles Lesevergnügen ist. Zu dem allerdings ein paar Grundkenntnisse
der medialen Thematik empfehlenswert sind.
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