TILLMANN BENDIKOWSKI: „HITLERWETTER“


„Können die Menschen in einer Diktatur tatsächlich glücklich an einem Badestrand liegen?“ Solche und ähnliche Fragen stellt der Historiker Tillmann Bendikowski an den Anfang seiner großen Chronik und Analyse über den Alltag in Nazi-Zeiten.
„Hitlerwetter“ hat der das Buch überschrieben und der Untertitel stellt klar, welcher Fragestellung er sich insgesamt gestellt hat: „Das ganz normale Leben in der Diktatur: Die Deutschen und das Dritte Reich 1938/39“. In der Geschichtsschreibung wird die Nazi-Ära stets als die finsterste Epoche Deutschlands bezeichnet, doch – war sie das immer und zu jeder Zeit?
Der ausgewählte Zeitraum widerspricht dem in vielem, denn genau in den hier untersuchten Monaten von Dezember 1938 bis November 1939 befand sich das Dritte Reich quasi auf seinem Zenit von Aufschwung und Wohlergehen. Bis Enede August 1939 herrscht Frieden, Hitler hat Österreich „angeschlossen“ wie auch das Sudetenland als Teil der Tschechoslowakei und es dennoch vermocht, die alliierten Mächte im Münchner Abkommen zu einem Appeasement zu bewegen.
Unter solchen Umständen lässt es sich für Otto Normalverbraucher leicht an, sich mit dem Unrechtsregime zu arrangieren. Um so mehr, da die Demokratie der Weimarer Republik nicht sonderlich funktioniert hatte. Weniger Freiheiten, Hitler-Gruß, braune Uniformen und Geländemärsche der Hitler-Jugend – wer sich damit arrangierte oder sich sogar aktiv einbrachte, konnte sich in diesem Regime wohlig einrichten.
Zudem hatte die allgegenwärtige Indoktrinierung die Bevölkerung längst infiltriert, wie der am Anfang stehende Advent zeigt. Da erklingt das NS-Weihnachtslied „Hohe Nacht der klaren Sterne“ und bei vielen der typisch deutsch-sentimentalen Weihnachtsfeiern ist eine deutliche Dechristianisierung zu erkennen.
Die Ideologie durchdrang mit dem Sprachschatz der Nazirs Reden und Denken der Massen. Und dann der größte aller Jubeltage der Nazizeit: der 50. Geburtstag des Führers am 20. April 1939 bei „Hitlerwetter“. Jeder Volksgenosse hatte Sonderurlaub und das Meer der allgegenwärtigen Hakenkreuzfahnen zu den Jubelfeiern war noch dichter als ohnehin.
Da waren die Massen begeistert und selbst die evangelische Kirche stimmte ein, wobei sie sich dem System erheblich ergebener andiente als die katholische Kirche. Ansonsten aber verlief der Alltag mit den typischen Traditionen wie allerlei Festtagen, dem Sonntagsspaziergang und den Besuchen in Kinos und Fußballstadien wie gewohnt.
Es ist eine „erzählerische Reise in die NS-Diktatur“, die immer wieder mit Fakten und Details ihrer Normalität überrascht. Vor allem aber belegen die vielen Schilderungen unter anderem auf der Grundlage von Zeitungsabschnitten, Anordnung und Chroniken, wie umfassend die übergroße Mehrheit der Deutschen in diesen Hochzeiten des Regimes Hitler unterstützte.
Auf seine Weise war es tatsächlich ein normales Leben, das die Bevölkerung führte und weitestgehend klaglos genoss. Und dieses sehr unterhaltsam geschriebene Buch gewährt darauf einen neuen, ungeahnten Blick, der durchaus auch nachdenklich macht.

# Tillmann Bendikowski: Hitlerwetter. Das ganz normale Leben in der Diktatur: Die Deutschen und das dritte Reich; 560 Seiten, div. SW-Abb.; C. Bertelsmann Verlag, München; € 26

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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