MICHAEL BRANDNER: „KERL AUS KOKS“


Zum 70. Geburtstag hat sich der beliebte Schauspieler Michael Brandner ein besonderes Geschenk gemacht: seinen ersten Roman. Im Mittelpunkt steht darin Paul Brenner und zu dem sagt Brandner gleich im ersten Satz: „Paul Brenner ist meine bessere Hälfte.“
Gemeint ist damit nicht weniger, als dass der sein alter ego ist, denn „Kerl aus Koks“, so der Titel, ist sehr sehr autobiografisch. Wie der Autor lebte der kleine Paul bei liebevollen Pflegeeltern in einem bayerischen Dorf, als mit vier Jahren eine fremde Frau kam, um ihn mit sich zu nehmen: seine uneheliche Mutter, die ihn nun nach Dortmund holt.
„Der Pott von damals findet nur noch im Museum statt“, hat Brandner schon im erhellenden Vorwort erklärt, und diese Kindheit und Jugend in der Nachkriegszeit erweist sich als authentische Milieustudie. Mittendrin lebt die kleine Familie in einer winzigen Bergmannswohnung, doch der Kleine ist glücklich mit seinem Stiefvater Helmut, dem einfachen aber herzensguten „Papa“. Der auch vieles ausgleicht, was die keifige und sehr unausgeglichene Mutter verbockt.
Vor allem aber ist und bleibt Paul ein Mensch, der ganz schnell Freunde findet. Und einen lebenslangen Hang zur Weiblichkeit pflegt: „Frauen sind die Korrektur der Schöpfung.“ Eine Faszination, die die fragwürdige Moral der katholischen Kirche ganz früh bei ihm geweckt habe. Das Gymnasium schmeißt er zum Entsetzen seiner Mutter, die nie mit etwas zufrieden ist.
In seiner wunderbaren Art des Erzählens versteht es Brandner, auch das Schwere leicht erscheinen zu lassen und das Positive hervorzuheben. Und das entwickelt sich kunterbunt, denn Paul hat eine bewegte Jugend, in der er Bauzeichner und Schreiner lernt und sehr intensiv die Freuden der Liebe für sich entdeckt.
Wobei sich eine gewisse Bindungsunfähigkeit zeigt, andererseits kann diesem freundlichen Lebenskünstler niemand so richtig böse sein. Wozu er Episoden auftischt – vermutlich ebenso echt wie die meisten Erlebnbisse und Weichenstellungen seiner Vita – die geradezu filmreif sind. Wie seine Verpflichtung zum Bundesgrenzschutz, nach der er mit Entsetzen erfährt, dass seine prächtige Mähne dafür fallen soll. Was er prompt mit einer Kurzhaarperücke zu überbrücken versucht.
Nach dem BGS kommt eine rastlose Hippiezeit samt Hausbesetzerleben und regelmäßigen Besuchen in den Amsterdamer Hasch-Cafés. Doch nachdem Paul schon als Kind wegen einer Hirnhautentzündung monatelang auf den Tod lag, ereilen ihn auch weiterhin immer wieder lebensgefährliche Unfälle und dergleichen, so dass ihm nach einer neuen Attacke klar wird: „Selbst als Katze hätte ich jetzt mein letztes Leben angebrochen.“
Zwischendurch geht der sensible Freigeist trotz Bedenken eine Ehe ein. Die prompt nach schweren psychosomatischen Probleme scheitert. Während diese Episode vermutlich Fiktion ist, kommen nun um so erstaunlichere Wendungen, die ganz nah an der realen Vita sind – die mit Ende 30 aufblühende Schauspielkarriere.
Ob die folgenreiche Begegnung mit dem neuen Bochumer Schauspielintendanten Peter Zadek, ob die Improvisationsbühne „Fletch Bizzel“ oder das ohne Baggern angebotene Engagement am Dortmunder Schauspielhaus – alles ergab sich so selbstverständlich wie auch der Aufstieg als vielbeschäftigter Filmschauspieler, das Wirken als Gewerkschafter und vieles mehr.
Und selbst für Pauls spätes Eheglück mit Cora gibt es das Pendant, inklusive Happyend. Michael Brandner erzählt schnörkellos, lebensnah und mit einer steten Prise von Selbstironie. So mancher funkelnde Satz bleibt da hängen und sein sehr persönliches Nachwort wirkt da wie ein selbstverständliches Sahnehäubchen. Fazit: Brandner nennt sich einen Allround-Stümper mit Geschmack, das aber hat für ein Meisterwerk gereicht.

# Michael Brandner: Kerl aus Koks; 335 Seiten; List Verlag, Berlin;

€ 23,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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