THOMAS HÜRLIMANN: DER ROTE
DIAMANT
Acht Jahre weggesperrt von der Welt in ein Kloster in den Bergen, ständig nur in Kutte
und Sandalen und beschult von schrulligen Mönchen das erlebt Arthur Goldau ab
seinem elften Lebensjahr.
Und dieser Arthur ist der Ich-Erzähler in Thomas Hürlimanns jüngstem Roman Der
Rote Diamant. Sein Vater wollte es so, denn der engstirnige Kommisskopf schwärmt
vom Präfekten dieses Klosterinternats in den Schweizer Bergen mit dem fragwürdigen Namen
Maria zum Schnee.
Der Mann sei ein Heiliger und werde den Sohn als Knabenerzieher und Seelenführer zum Mann
machen. Doch schon die Zuführung des braven Jungen durch seine Mutter, die als exaltierte
und noch immer ihrer entgangenen Karriere als Operndiva nachhängenden Maman
gerät zu einem absurden Fiasko.
Auch Arthurs sofortiger Fluchtversuch misslingt. Bruder Frieder aber so der Name
des hünenhaften, schlechtriechenden Präfekten ist so streng wie die übrigen
kauzigen und selbstredend erzkatholischsten Mönche. Wobei sich später herausstellt, dass
der Präfekt eine wenig rühmliche Vergangenheit in deutscher SS-Uniform hatte.
1963 also der Eintritt Arthurs als Nummer 230 in dieses Extrem-Universum, in dem
Individualismus bis hin zu abweichenden guten Leistungen unter strafe stehen. Dennoch
schafft es diese seltsame Strafkolonie nicht, die gut 300 Internatsschüler zu hirn- und
gefühlstoten Zombies zu machen. Dafür sorgt allein schon der legendäre Rote Diamant,
der seit dem Zusammenbruch der Habsburger Monarchie verschwunden ist.
Es scheint ein offenes Geheimnis zu sein, dass der angeblich mindestens 2000 Jahre alte
Edelstein vermutlich in genau diesem Kloster versteckt wurde. Eine Mutmaßung, die durch
die alljährlichen Huldigungsbesuche der Witwe des letzten Kaisers noch genährt wird. Und
die gelangweilten Heranwachsenden sind ungemein mit der Schatzsuche beschäftigt, einige
eingeschworene sogar ihr Leben lang.
Dass Thomas Hürlimann aus dieser Internatszeit in den 60er Jahren einen solch abgedrehten
Schelmenroman aus intensiver authentischer Sicht machen konnte, rührt von den starken
autobiografischen Aspekten der Geschichte her. Seine eigene Zöglingszeit durchlebte er in
einem fast identischen erzkatholischen Klosterinternat.
Wenn dann ein deutlicher Anklang an Umberto Ecos weltberühmten Untergangsroman Der
Name der Rose hinzukommt, weil Bruder Frieder dem Suff verfällt und die strenge
Ordnung des Klosters zerbröselt, passt das natürlich zum aufrührerischen Jahr 1968, das
auch diese Zöglinge um Arthur Goldau nicht unberührt lässt.
Und es macht diesen im besten Sinne altmodisch geschriebenen Roman zu einem skurrilen
Meisterwerk von durchtriebener Süffisanz. Bei der dann selbst im letzten Teil des Buches
wenn die einstigen Schatzsucher knorrige alte Männer geworden sind, der Rote Diamant
durchaus nicht in Vergessenheit geraten ist.
Fazit: man ahnt das hintersinnige Grinsen des Autors beim Schreiben dieses Werkes und man
darf sich köstlich und auf gehobenem Niveau am, Ergebnis vergnügen.
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