ZOULFA KATOUH: ALL DIE
FARBEN, DIE ICH DIR VERSPRACH
Unser Leben besteht aus Hunger, erfrorenen Gliedmaßen, verwaisten Geschwistern,
blutigen Händen, Granatsplittern, der Angst vor dem Morgen, stillen Tränen und frischen
Wunden. Unsere Zukunft ist uns aus den Händen gerissen worden.
Diese bittere Feststellung trifft die eben 18-jährige Salama, völlig überarbeitete
Hilfsärztin in einem Krankenhaus in Homs. Und sie ist auch die Ich-Erzählerin im
Debütroman der syrisch-stämmigen Kanadierin Zoulfa Katouh. Dessen Titel All die
Farben, die ich dir versprach im krassen Gegensatz zu dem steht, was hier erzählt
wird.
Es ist das Jahr 2012 und aus dem vor einem Jahr voller Hoffnung ausgebrochenen Arabischen
Frühling wurde in Syrien in kürzester Zeit ein unfassbar grausamer Bürgerkrieg.
Tagtäglich schleppt sich Salama ins Krankenhaus, das von immer neuen Opfern von Bomben,
Granaten, Scharfschützen und immer wieder auch gezielten Massakern an Zivilisten
überschwemmt wird.
Nach kaum zwei Semestern Pharmaziestudium wurde Salama aus dem normalen Leben gerissen und
längst hat das völlig überlastete Ärzteteam sie auch mit Wundversorgung und
Operationen betraut. Es zehrt an ihr; die Hilflosigkeit mit bescheidenen Mitteln, das
Elend insbesondere der kindlichen Opfer und wie oft sie Augen Verstorbener schließen
muss.
Ihre Eltern hat sie bereits verloren und ihrem Bruder Hamza wünscht sie, dass er tot sein
möge als Häftling von Assads Folterschergen wäre es das weitaus leichtere Los.
Salama lebt mit Layla in einem noch intakten Haus zusammen, ihrer Freundin, die zugleich
ihre Schwägerin und von Hamza schwanger ist.
Und dann taucht immer wieder Khawf auf, eine ständig mahnende Gestalt, die nur sie sehen
kann. Seit sie den brutalen Tod ihrer Mutter miterlebte, verfolgt er sie als eine Art
manifestiertes PTBS (Posttraumatisches Belastungssyndrom). Das hier zu Unrecht so genannt
wird, denn nichts ist hier posttraumatisch, denn diese Traumata geschehen allgegenwärtig.
Khwarf aber ist es auch, der Salama dringend rät, sich endlich mit Layla auf die Flucht
nach Europa zu machen.
Doch sie scheut aus Verantwortungsgefühl davor zurück, ist sie doch die letzte
Pharmazeutin weit und breit in der massiv zerstörten und umkämpften Großstadt. Dabei
hätte sie einen Vermittler, der für 2000 Dollar pro Person Bootsplätze besorgen kann.
Und dann tut sich inmitten unvorstellbaren Grauens ein Hauch Menschlichkeit auf. Durch den
Notfall eines Mädchens mit Granatsplitter im Bauch begegnet Salama dessen Bruder Kenan.
Da entsteht nicht nur eine scheue Liebe, dieser junge Mann, der unter der stetigen Gefahr,
in die Folterkammern der Regierungstruppen zu geraten, die Ereignisse filmt, um sie als
YouTube in die Weltöffentlichkeit zu senden, war der Heiratskandidat, den sie unmittelbar
vor Ausbruch der Kämpfe hätte kennenlernen sollen.
So kitschig sich das auch anhören mag bei all den extrem realen Szenen, die oft
kaum erträglich sind, würde man diesen sehr persönlich und sehr emotional geschriebenen
Roman ohne diese kleinen schönen Momente irgendwann nicht mehr weiterlesen können. Zumal
er mit immer neuen Eskalationen aufwartet wie sie teils aus den Fernsehnachrichten
auch hier bekannt wurden von Granaten auf eine Grundschule und der Hilflosigkeit,
wenn viele der schwerverletzten Kindern unter den Händen wegsterben, bis zum barbarischen
Giftgasangriff mit den elendig sterbenden Opfern.
Dagegen steht als winziger Hoffnungsschimmer Kenans Heiratsantrag mitten in einem Leben im
Konjunktiv. Umgeben von einem sich stetig weiter steigenden Wirbel mörderischer Gewalt
bleibt irgendwann doch nur noch die Flucht. - Dieser schonungslose Roman mit den wenigen
Momenten von Liebe und Hoffnung ist wahrlich nichts für Zartbesaitete, zumal das alles
erschreckend authentisch ist. Das ist kein schönes Buch und auch nichts für
Jugendliche obwohl es in einem Jugendbuchverlag erschienen ist doch es ist
ein ungeheuer wichtiges Buch aus einer Hölle, um deren bis heute nicht beendete
Wirklichkeit wir viel zu wenig wissen.
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