ANNA KIM: „GESCHICHTE EINES KINDES“


Einen sehr persönlichen Roman hat Anna Kim mit „Geschichte eines Kindes“ vorgelegt. Dazu muss man wissen, dass die Erfolgsautorin Tochter eines Österreichers und einer südkoreanischen Mutter ist.
Eine gewisse Art von Rassismus hat sie selbst in Wien erlebt, dann jedoch erhielt sie ausgerechnet von ihrem amerikanischen Ehemann eine Akte in die Hände, die das besondere Schicksal eines in seiner Heimatstadt Green Bay, Wisconsin, geborenen Schwarzen betraf. Dieser Daniel kommt am 12. Juli 1953 als uneheliches Kind der 20-jährigen Carol Truttman zur Welt, die ihn sofort zur Adoption freigibt.
Um diese Akte des Sozialdienstes der Erzdiözese Green Bay baut Anna Kim nun einen Roman mit einer Rahmenhandlung, bei der als ihr alter ego die Autorin Franziska für ein Semester als 'Writer in Residence' an das St. Julian College kommt. In der Fiktion bezieht die Ich-Erzählerin ein Zimmer im Haus von Joan Truttman, Ehefrau von Danny. Er sei der einzige Schwarze in der sehr weißen Stadt und derzeit auch der einzige Nichtweiße im Pflegeheim nach einem Schlaganfall.
Zugleich fragt die alte Dame, wie es sei, in Wien weit und breit die einzige Asiatin zu sein. Das weist Franziska von sich, denn sie fühle sich mit ihren Eltern und als gebürtige Österreicherin so wenig asiatisch wie die Vermieterin. Woraufhin diese ihr Dannys Geschichte erzählt und ihr die Akte vorlegt.
Die wird nun zur Parallelgeschichte und gerade der trockne Behördenton macht das Monströse, das mit dem Kind damals geschah, ebenso verstörend wie empörend. Dass die offenbar einfache aber auch schlampige Carol den Namen des Kindsvaters verweigert, wäre für eine Adoption nicht zwingend ein Problem. Hier jedoch heißt es in der Akte: „Merkmale, die nicht normal sind.“
Viel schlimmer aber sind die daraus folgenden abstrusen Bewertungen des Säuglings nach den harschen Rassenbestimmungen: „Sie hegen den Verdacht, dass es Negerblut in seinen Adern hat.“ Die Lügen Carols zum Erzeuger sind nicht eben förderlich und wie soll man „ein solches Kind“ an Pflegeeltern vermitteln?
Die in einem anderen Duktus herausgehobenen Passagen heben dabei einen Namen immer wieder als geradezu obsessive „Ermittlerin“ hervor: Marlene Winkler oder verkürzt „mw“. Beharrlich werden ständig neue Protokollierungen über Dannys negroide Eigenschaften gemacht. Hinzu kommen Ermittlungen zur Vaterschaft, als ginge es um einen schweren Kriminalfall.
Danny, dessen Rolle als diskriminiertes Objekt am deutlichsten dadurch wird, dass er nirgends im Roman zu Wort kommt, ist trotz allem Glück mit doch noch gefundenen Adoptiveltern beschieden. Joan Truttman aber gibt der Ich-Erzählerin mit auf die Heimreise, sie möge Erkundungen über diese MW einziehen, die damals nach einem Suizidversuch Carols in ihre österreichische Heimat zurückgekehrt sei.
Und Franziska macht tatsächlich deren Tochter ausfindig und erfährt, dass MW im Krieg als Anthropologin für die Nazis Rassenvermessungen an Juden durchgeführt hat. Und im besonders weißen Wisconsin befand sie sich mit ihrer Haltung und ihrer Wortwahl zur Zeit der strikten Rassentrennung quasi unter ihresgleichen.
Fazit: ein außergewöhnlicher Roman in Inhalt und Form, dessen feine sensible Prosa die Beklemmung über dieses nach einer wahren Begebenheit erzählte Schicksal kaum mildern kann.

# Anna Kim: Geschichte eines Kindes; 222 Seiten; Suhrkamp Verlag; € 23

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 1674 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de