TACITUS REDIVIVUS: DIE GROßE
TROMMEL
Am 14. September 1930 fuhr die NSDAP einen fulminanten Erfolg bei den Reichstagswahlen
ein: von zuletzt 2,6 Prozent steigerte sie sich auf jetzt 18,3 Prozent. Damit zogen nun
107 Faschisten mit dem entschiedenen Bekenntnis zur Feindschaft gegen das Parlament in
ebendiesen Reichstag ein.
Für Tacitus Redivivus war dies der Anstoß zu einem geradezu prophetischem Psychogramm
dessen, der genau dies bewirkt und ganz sicher sein Pulver noch längst nicht verschossen
hatte. Die große Trommel. Leben, Kampf und Traumlallen Adolf Hitlers lautet
der Titel des relativ schmalen Buches.
Das noch im selben Jahr durch einen Schweizer Exilverlag veröffentlicht wurde. Erst viel
später fand man heraus, dass sich hinter dem Pseudonym des Autors höchstwahrscheinlich
Max Hochdorf (1880-1948) verbarg, ein Journalist, Bühnenautor und Theaterkritiker mit
SPD-Mitgliedsbuch und jüdischer Herkunft.
Er hielt es für dringend angezeigt, diesen politischen Springteufel mit dem gefährlichen
Charisma gründlich kennenzulernen und zu analysieren. Mit bestechender Klarheit entlarvt
er den narzisstischen Selbstdarsteller und dessen Inszenierung seiner selbst. Anhand
seiner öffentlichen Auftritt, von Zeitungsartikeln und dem Parteiprogramm charakterisiert
er Hitler als eine ungewöhnliche Unglücks- und Stänkernatur, die eine regelrechte
Selbstvergötterung betreibe.
Ein ganz wichtiger Aspekt ist im Übrigen Hitlers Buch Mein Kampf, nach dem
gescheiterten Münchner Putschversuch von 1923 während der Festungshaft verfasst und im
Mai 1930 veröffentlicht. Noch ist das später millionenfach verbreitete Machwerk kaum
beachtet, Hochdorf aber hat vieles von der verheerenden Brisanz der darin enthaltenen
Ankündigungen bereits erkannt.
Präzise nimmt er es auseinander und legt unter anderem Hitlers angestrebtes
Herrschaftsprinzip offen: Ich ersetze die bestehende Ordnung durch mich selber und
wähle nach meinem subjektivsten Geschmack die Mithelfer aus, die mir zur Lenkung der
Massen genehm sind.
Die im Buch ebenfalls angekündigte Judenverfolgung sprach Ho0chdorf in seiner ätzend
satirischen Schrift zwar auch an, deren beabsichtigte und später tatsächlich
durchgesetzten Dimensionen aber konnte auch dieser hellsichtige Deuter nicht erahnen.
Gleichwohl würdigt Sven Felix Kellerhoff im sehr erhellenden Nachwort die
erstaunlich klare Analyse des Denkens und des Charakters Hitlers.
Historiker Kellerhoff konstatiert dazu: Dieses Buch zeigt auf frappierende Weise,
was alle Zeitgenossen damals hätten wiessen können. Doch das auch sprachlich
brillante Warnzeichen vor der zukünftigen Bedeutung des Führers und Verführers brachte
es nur auf eine Auflage und geriet danach derartig in Vergessenheit, dass es auch in den
zahlreichen vorzüglichen Biografien der letzten Jahrzehnte zum Phänomen Hitler nicht
einmal Erwähnung fand.
Fazit: eine höchst verdienstvolle Neuauflage einer leider unwirksam gebliebenen Warnung
nach nunmehr 90 Jahren.
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