PATRICK TSCHAN:
SCHMELZWASSER
Es ist Frühjahr 1947, als Emilie Reber in einer kleinen deutschen Stadt am Bodensee an
Land geht, um hier eine Leihbibliothek mit Buchhandel und Lesestube zu eröffnen. Als
erstes gerät sie an Fritz Zängler im Rathaus, Beamtenseele und Staatsbüttel.
Damit beginnt der neue Roman des Schweizer Erfolgsautors Patrick Tschan unter dem Titel
Schmelzwasser. Emilie Reber brint genau das mit, was Zängler und die meisten
Bürger der Stadt gar nicht mögen: Unruhe. Das lassen schon die Bücherladungen erahnen
die nun hereintrudeln, denn das sind Unmengen an Titeln, die 1933 von den Nazis verboten
und demonstrativ öffentlich verbrannt wurden.
Die energische Emilie hatte 1934 mit Heinrich Mann für die Sammlung der Deutschen
Freiheitsbibliothek in Paris gesorgt. Die gan es wirklich und Mann ihr Präsident.
Im Gegensatz zur der Fiktion des Romans konnte sie jedoch nicht in das Städtchen geholt
werden, da sie beim Einmarsch der Wehrmacht 1940 zerstört wurde.
Hier aber sorgen diese Bücher für Furore und Emilie, die während des Krieges in der
Résistance gekämpft hatte, erhielt als Buchzentrum ausgerechnet die ehemalige
Parteischule zugewiesen. Wie sie es genüsslich nennt: eine Entnazifizierung auf
Französisch
Ihr Tun aber mischt die Bevölkerung auf, denn es gibt eine zähe braune Kruste, der sie
unangenehme Wahrheiten entgegenhält. Während sie einerseits nicht nur böse Blicke
erntet und es sogar zu Anfeindungen und Sachbeschädigungen kommt, gewinnt sie auch
Mitstreiter. Die erste Verbündete wird die Friseuse Ilse. Erst hilft sie ihr, einen
eigenen Salon aufzumachen, dann versieht die junge Frau Emilie mit einem frechen Bubikopf.
Was Zängler prompt als unmoralische Frisur verurteilt.
Hinzu kommt bald Hildegard, die Boutique-Besitzerin, die eingangs ihr Geld vor allem mit
dem diskreten Verkauf von Beate-Uhse-Artikeln verdient. Bis dann immer öfter der
zurückgekehrte Jude Ignaz Franck bei ihr im Laden sitzt und an einem Buch schreibt. Dank
seiner Beziehungen in die USA kommt Hildegard bald an den ganz großen Verkaufsschlager:
Levis-Jeans.
Das alles und vor allem Emilies Bücher, die helfen mit Rückgrat zu leben und
sogar die offene Schau von Artikeln über Nazi-Verbrechen bescheren insbesondere ihrem
Buchladen heftige Attacken. Wobei sich einer sogar dazu versteigt, aufs Schaufenster zu
schießen. Längst aber ist vor allem die junge Generation aufgewacht und wendet sich
einer neuen Zukunft zu.
Das geht sogar soweit, dass Jugendliche eine Schutzwache aufstellen. Und während der Mief
der braunen Zeit zunehmend aufgebrochen werden kann, landet Zängler wegen des
Pistolenattentats sogar im Gefängnis. Gegen Ende hält die neue Zeit sogar mit einem
großen Rock-Konzert Einzug.
Fazit: ein gediegener Roman über eine Vergangenheitsbewältigung der besonderen Art mit
starken Charakteren in einer schwäbischen Kleinstadt.
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