SVEN FELIX KELLERHOFF: „ANSCHLAG AUF OLYMPIA“


Zehn Tage lang waren die „heiteren“ Olympischen Spiele von München die denkbar schönste Olympiade aller Zeiten und das absolute Gegenstück zum Nazi-Bombast von 1936. Dann aber zerbrach die Tragödie vom 5. September 1972 den Sommertraum.
Zu der der Spitzenjournalist Sven Felix Kellerhoff ein hochspannendes Sachbuch unter dem Titel „Anschlag auf Olympia. Was 1972 in München wirklich geschah“. Das hört sich zwar vollmundig in der Ankündigung an, erscheint jedoch gerechtfertigt. Der renommierte Autor konnte tatsächlich auch umfangreiches bisher nicht beachtetes Material auswerten, so Unterlagen aus der Staatsanwaltschaft München und aus umfangreichen Akten der DDR-Staatssicherheit.
Kellerhoff beschreibt zunächst die Vorbereitungen der Spiele, die ja unbedingt möglichst wenig martialisch und weitgehend uniformfrei vonstatten gehen sollten. Für die Sicherheit war gemäß Föderalismus allein der Freistaat Bayern zuständig und hier vor Ort Münchens Polizeipräsident Manfred Schreiber. Der sich schon in den Vorbereitungen hinsichtlich Sicherheitsstrategien und dem Durchspielen möglicher dramatischer Problemlagen als ebenso machtbewusst wie stieselig erwies.
Akribisch legt der Autor die Vorgänge auf der Polizeiseite dar, wo überraschend viel Unklarheit über mögliche Gefährdungen herrschte. Vor allem aber scheinen hier bereits schlimme Unterlassungssünden auf, denn die allgemeine Sicherheitslage hatte sich alarmierend verschärft – aber offenbar nicht für bundesrepublikanische und noch weniger für bayerische Kräfte, die ein spektakuläres internationales Massenereignis sicher über die Runden begleiten sollten.
In den letzten Jahren vor der Olympiade hatte es bereits mehrere Flugzeugentführungen oder Anschläge auf Fleugzeuge durch palästinensische Terroristen gegeben., darunter 1970 erstmals auch einen in Deutschland. Und im August 1971 war gerade in München ein Banküberfall mit Geiselnahme zu einem haarsträubenden Fiasko mit einer toten Geisel geworden.
Wobei sich Mängel in der Ausbildung und der Bewaffnung fatal ausgewirkt hatten – die dennoch kein Anlass für die Aufstellung einer Spezialeinheit waren. Die im Übrigen insbesondere Polizeipräsident Schreiber für überflüssig erklärt hatte, und das, obwohl inzwischen mit der RAF auch bundesdeutsche Terroristen aktiv geworden waren.
Wie lax die Sicherheitsvorkehrungen rund um die Olympiade waren, zeigte dann am 5. September in den frühen Morgenstunden die Leichtigkeit, mit der acht Mitglieder der palästinensischen Terroristengruppe „Schwarzer September“ über den Maschendrahtzaun rund ums Olympische Dorf klettern konnten. Es war ein offenes Geheimnis, dass immer wieder Athleten genau diesen Weg zu nächtlichen Vergnügungen gingen.
Diese acht vermeintlichen Sportler mit den großen Taschen aber drangen nun in die Connollystraße 31 ein, das Haus mit der Unterkunft der israelischen OlympiaMannschaft, und überfielen diese. Chaotische Verhandlungen mit den Terroristen, die über 200 Gesinnungsgenossen freipressen wollten, verliefen zäh und wirr. Dann mussten Pläne für eine Befreiungsaktion aufgegeben werden, weil die Bauweise des Hauses dagegen sprach und es keinerlei Spezialeinheit für so etwas gab. Auch andere Ansätze und Versuche erscheinen schier unglaublich aus heutiger Sicht, nicht zuletzt solche wegen des Mangels an geeigneter Ausrüstung.
Im Übhrigen liefen all diese Ereignisse quasi als Vorläufer von Reality-TV, denn alles fand weltweit vor laufender Kamera statt. Dann aber schien sich eine überraschende Chance für eine Aktion zu eröffnen, als Terroristenanführer Issa plötzlich nach zähen Verhandlungen verlangte, sie und die Geiseln nach Ägypten auszufliegen. Die nun vorbereitete Befreiungsaktion musste wegen dilettantischer Fehler abgebrochen werden.
Womit als letzte Chance ein Eingreifen auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck blieb. Wo sich bereits weitere Pannen unfassbaren Ausmaßes ereignet hatten. Da waren die Radpanzer abgezogen worden und im Fluchtflugzeug verweigerte die Polizisten wegen unzulänglicher Kleidung und Bewaffnung den Einsatz. Viel folgenschwerer aber waren unglaubliche Fehlleitungen seitens der Einsatzleitung: niemand hatte von der Connollystraße aus gemeldet, dass es sich um acht statt fünf Terroristen handelte.
Für deren Ausschaltung hatte man fünf Scharfschützen postiert, die trotz entsprechender Forderungen keine Geräte zur Funkverbindung untereinander bekommen hatten. Das und weitere Pannen und Fehleinschätzungen führten dann noch vor Mitternacht zur absoluten Katastrophe. Alle Geiseln, ein Plozist und fünf Terroristen kamen um. Und um die Blamage vollkommen zu machen, kam noch ein Pressedesaster mit sich widersprechenden Live-Meldungen hinzu und der bayerische Innenminister Merk versagte obendrein noch eklatant vor der Weltpresse.
Der akribische Chronist geht auch auf die folgenden Abläufe in politischer Hinsicht und der Olympiade ein. Wobei sich auch der Vorwurf auflöst, eine machtgierige Olympia-Führung habe die Fortsetzung der Spiele durchgedrückt. Noch vor dem Ende des Debakels hatte vielmehr Bundeskanzler Willy Brandt erklärt, es dürfe nicht passieren, dass Terroristen das Ende von Großereignissen bestimmen, und auch seitens Israels hatte es die ausdrückliche Zustimmung zum Weitermachen gegeben.
Fazit: keinem Drehbuchschreiber hätte man ein solch irrsinniges Szenario für einen Film durchgehen lassen, hier aber wurde es blutige Realität. Sven Felix Kellerhoff schildert das alles nicht nur präzise mit authentischem Zeit- und Lokalkolorit, er hat daraus einen regelrechten Sachbuch-Thriller gemacht.

# Sven Felix Kellerhoff: Anschlag auf Olympia. Was 1972 in München wirklich geschah; 238 Seiten, div. SW-Abb.; wbg Theiss Verlag, Darmstadt; € 25

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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