KAWAI STRONG WASHBURN: HAIE
IN ZWEITEN VON ERLÖSERN
So ungewöhnlich wie der Titel Haie in Zeiten von Erlösern ist auch dessen
Autor Kawai Strong Washburn, Er ist gebürtiger Hawaiianer und wuchs auch auf dem fernen
Archipel im Pazifik auf.
Im Mittelpunkt seines Debütromans steht Noa und eingangs schildert seine Mutter Malia das
Besondere, das in jener Nacht im Waipi'o Valley auf Big Island geschah, als er gezeugt
wurde. Die hitzige Liebesumarmung endete jäh, als Partner Augie eine magische Erscheinung
entdeckte: eine Parade der Nachtmarschierer, der längst verstorbenen Könige von Hawaii.
Und Mythen der alten Geister spielen eine prägende Rolle in allem, was weiterhin
geschieht.
Als die Familie Flores aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen ist, auf eine der
größeren Inseln umzusiedeln, will Vater Augie zum Abschied seinen Kindern, zu denen auch
der etwas ältere Dean und die kleine Kaui gehören, ein Vergnügen bereiten, eine Fahrt
mit einem Glasbodenboot.
Dabei aber passiert Entsetzliches, denn der jetzt siebenjährige Noa stürzt von Bord und
im Nu nähern sich Haie. Doch fassungslos erleben die panischen Zuschauer ein Wunder:
einer der Haie hält den Jungen behutsam mit dem Maul über Wasser und liefert ihn am Boot
ab. Worauf Mutter Malia nur noch stammeln kann: Und da fing ich an zu glauben.
Tatsächlich scheint Noa besondere Kräfte zu haben und als er einem Jungen, dem ein
Silvesterkracher die Hand zerfetzt hat, diese durch Berühren heilt, setzt ein dauerhafter
Zug von Wundersuchern ein. Sehr zum wirtschaftlichen Wohlergehen der so ärmlichen Eltern,
wenngleich Noa seine Normalität sehr vermisst. Zumal seine Sonderrolle zunehmend zu
Konflikten mit den eifersüchtigen Geschwistern führt.
Allerdings stacheln Noas Erfolge, die er auch in der Schule hat, den sportverrückten Dean
und die technisch begabte Kaui zu immer besseren Leistungen an. Dann kommt der Tag, als
Noas Gabe bei einem Parkinson-Patienten versagt und diese Einnahmequelle der Familie
schnell versiegt. Er fällt in Depressionen, gibt aber nicht völlig auf.
Andererseits ist er ein so smarter Schüler, dass er ein Stipendium für die Stanford
Universität erhält. Doch auch die Geschwister gehen aufs Festland und haben Erfolg in
ihren Ausbildungen. Der Neid auf seine Außenseiterrolle aber nagt ebenso an ihnen wie Noa
darunter leidet. Als er dann als Notfallsanitäter erneut ein fatales Versagen seiner
heilenden Kräfte erlebt, kehrt er heim nach Hawaii.
Das Hai-Wunder ist der gesamten Familie nicht wirklich zum Segen geworden. Noa aber fühlt
einen Ruf, die Mythen im Waipi'o Valley zu ergründen. Die ihm nun zum Schicksal werden.
Doch auch Dean stürzt mit Alkohol und Drogen aus seiner Sportlerkarriere ab und Kaui
kehrt dem Festland ebenfalls den Rücken, als ihre erste große Liebe zu einer Frau
düpiert wird.
Niemand aus der Familie erlebt ein anhaltendes Glück durch Noas Wunder und bei aller
Verschiedenheit der Charaktere bleiben sie dennoch unentrinnbar an einander gebunden. Und
so endet das Familienepos, wo es begonnen hat: im Waipi'o Valley und wieder erscheinen
dort die Nachtmarschierer.
All dies dampft vor Intensität und Emotionen und reißt samt seiner ungewohnt
ungeschlachten, ja, derben Prosa mit. Die alten hawaiianischen Götter, das pralle Leben
in bescheidenen Verhältnissen und die teils herbe Gesellschaftskritik machen diesen
Rohdiamanten von Roman zu einem ungestümen Lesevergnügen.
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