ISABEL ALLENDE: „VIOLETA“


„Mein Leben ist es wert, erzählt zu werden, was weniger an meine tugendhaften als an meinen sündigen Taten liegt, von denen Du viele nicht ahnst.“ Damit begründet die 100-jährige Violeta gegenüber ihrem geliebten Enkel, warum sie ihm nun eine Art Autobiografie vorlegt.
„Violeta“ ist auch der Titel von Isabel Allendes mittlerweile 26. Roman, den sie als Briefroman verfasst hat. Wobei dessen chronologischer Bogen mit der Geburt der Bürgertochter im Jahr 1920 mitten in einer Pandemie (die Spanische Grippe) beginnt und jetzt im Herbst 2020 in der aktuellen weltweiten Seuche zu Ende geht.
Es sind die fesselnden Memoiren einer starken Frau, die entlang erschütternder Ereignissen ein sehr bewegtes und am Ende auch erfülltes Leben führen. Die erste Ershcütterung erlebt diese Violeta del Valle mit neun Jahren, als die gewagten Spekulationen des Vaters in der Weltwirtschaftskrise von 1929 in den Ruin und seinen frühen Tod führen.
Die Familie weicht Schande und Verarmung in den kargen Süden Chiles aus. Als junge Frau wird Violeta hier die Verlobte des Veterninärs Fabian, der langweilig wie seine erzkonservative deutschstämmige Familie ist. Ohne den Mut, auf die Sicherheit zu verzichten, heiratet sie ihn nach fünf Jahren doch noch. So dienstfertig sie sich auch gibt, so frohlockt sie nicht nur, dass sie einfach nicht schwanger wird: „Unter der Maske verbarg sich eine zornige Frau.“
Und sie erdreistet sich gegen alle Gepflogenheiten im Chile der 40er Jahre, gemeinsam mit ihrem Bruder José Antonio unternehmerisch tätig zu werden. Fabian kann nicht begreifen, warum sie ihn dann sogar verlässt. Erst danach bricht mit dem attraktiven Pilot Julian Bravo das „Sündige“ in ihr Leben, Plötzlich lernt sie die erotische Liebe kennen und kann nicht mehr davon lassen, obwohl sich die Beziehung als ebenso wild wie toxisch erweist. Er belügt und betrügt sie, ist gewalttätig und zugleich unentrinnbar charismatisch.
Ihn zu heiraten verwehrt allerdings Noch-Gatte Fabian, der sich beharrlich weigert, einer Annullierung der Ehe als damals einzig erlaubten Trennungsweg zuzustimmen. An Julians Seite aber erlebt Violeta Aberwitziges, denn er rauft sich als skrupelloser Abenteurer durch, der mal für die Mafia, mal für Kubas Diktator Battista arbeitet, dann aber auch für die CIA und andere.
Durchweg aber agiert er im Illegalen und als Hasardeur, der immer wieder die mit ihrem Bruder erfolgreich wirtschaftende Violeta anpumpt. Doch die Hin- und Hergerissene bekommt auch zwei Kinder von Julian – die hier ihre eigenen, sehr individuellen Geschichten bekommen. Wobei die erratische Nieves nach Hippie-Leben und Drogenkarriere schließlich erwartungsgemäß abstürzt. Noch vor ihrem Ableben mit 21 aber wird ihr Kind per Kaiserschnitt gerettet: Enkel Camilo, der nun der Adressat der sehr offenen und teils auch recht pikanten Lebensbeichte der noch sehr wachem Greisin ist.
Sohn Juan Martin dagegen, dessen intellektuelle Art beiden Eltern eher suspekt ist, sorgt schließlich dafür, dass Violeta trotz ihrer unpolitischen Haltung erneut in geschichtliche Umbrüche hineingezogen wird. Entgegen ihren früheren Romanen wirkt die Hauptfigur diesmal nicht als Sympathisantin von Präsident Allende (bekanntlich ein Verwandter der Autorin), vielmehr missfallen der erfolgreichen Unternehmerin die sozialistischen Reformversuche der neuen Regierung.
Als das Militär jedoch im September 1973 putscht, steht Juan Martin als Präsident der Studentenbewegung an der Spitze der Schwarzen Liste der mordlüsternen Junta. Unvermittelt steckt damit auch Violeta mitten im Geschehen und erst nach Jahren erfährt sie die gute wie auch eine böse Nachricht: der Wohn ist wohlbehalten im Exil und Julian Bravo, der Mann, dem stest jedes Mittel zum Zweck heilig war, hat auch beim Putsch seine Finger für CIA im Spiel gehabt.
Für die nie unterzukriegende Violeta, die in ihren späten Jahren noch zur Frauenrechtlerin wird, hält das Leben im Alter noch einmal echtes Liebesglück bereit. Das Alles erzählt sie ebenso unsentimental wie leidenschaftlich mit zuweilen sezierendem Blick und so endet diese zutiefst menschliche Familiensaga entlang der Ereignisse eines ganzen Jahrhunderts als großartiges Spätwerk der jetzt 80-jährigen Isabel Allende.

# Isabel Allende: Violeta (aus dem Spanischen von Svenja Becker); 400 Seiten; Suhrkamp Verlag, Berlin; € 26

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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