BRAUCKMANN/SCHÖLLGEN: „MÜNCHEN 72“

 
Die Bundesrepublik Deutschland befand sich politisch und gesellschaftlich ohnehin in einer Aufbruchphase und nun sollten im Sommer 1972 die XX. Olympischen Spiele in München stattfinden. Heitere Spiele wollte man bieten und Dackel „Waldi“ als Maskottchen war ganz dazu geeignet, der Olympiade von 1936 unterm Hakenkreuz ein anderes, ein von Leichtigkeit und Lebensfreude geprägtes Deutschland entgegenzusetzen.
Wie das erhoffte Heiterkeitswunder zehn Tage lang vor der gesamten Weltöffentlichkeit gelang und dann vom Terror brutal eingetrübt wurde, das schildern der Politologe Markus Brauckmann und der Historiker Gregor Schöllgen in ihrer Chronik „München 72. Ein deutscher Sommer“. Und die Autoren betonen, dass diese Olympiade weit mehr war als nur ein sportliches Ereignis. Weshalb man hier ein hochinteressantes Leseerlebnis bekommt, auch wenn man kein Sport-Fan ist.
Was da vor nunmehr 50 Jahren in Deutschland stattfand, war ein Großereignis, das alle Aspekte dieser 17 Tage durchdrang und das nicht nur im ganzen Land. Ein glanzvolles Stadion hatte man gebaut, ein Olympisches Dorf, das bis heute unübertroffen ist, und dann wurde die Eröffnungsfeier am 26. August 1972 ein Triumph. Wohl mehr als eine Milliarde Menschen in aller Welt verfolgten die beschwingte Veranstaltung, als die Sportler aus 122 Ländern einzogen.
Natürlich spielte die Rivalität der erstmals unabhängig voneinander antretenden Mannschaften aus Deutschland West und Deutschland Ost eine große Rolle. Wobei selbst die ausbleibenden Medaillen der BRD-Sportler allenfalls Sarkasmus erzeugten und eine Schlagzeile in der Abendzeitung lautete: „Die anderen siegen – wir bleiben heiter.“
Der Medaillenspiegel sah zwar bis zuletzt die DDR mit Abstand vorn, doch es gab genug zu jubeln mit eigenem Gold. Und solchen Sensationen wie der 16-jährigen Ulrike Meyfarth und ihrem Weltrekord über 1,92 Meter im Hochsprung. Oder dem Superstar der Spiele Mark Spitz mit sieben Mal Gold und jedes mit Weltrekord. Hinzu kommen viele, teils längst vergessene Anekdoten wie die vom falschen umjubelten Marathonläufer auf Gold-Kurs.
Aber auch all die Geschichten, die die heiteren Spiele beflügelten, allen voran die der allseits umschwärmten deutschen Olympia-Hostessen. Die Autoren verschweigen aber auch nicht einen heute kaum noch erinnerten Aspekt, der hier mit seinen treffenden Beispielen doch ziemlich überrascht. Der unverkrampften bunten Weltoffenheit der Westdeutschen stand ein erheblicher allgegenwärtiger Rassismus gegenüber. Da brachte zum Beispiel der „stern“ eine Serie zum „Problem“ schwarzer Schwiegersöhne. Die Autoren betonen zu diesen Passagen, dass sie hier bewusst die Originalzitate samt einschlägiger Begriffe verwendet haben.
Chronologisch geschildert kommt schließlich unweigerlich Tag 11 der Olympiade, von dessen Tragödie ein Journalist später sagte: „Es waren die schönsten Spiele, die je kaputt gemacht wurden.“ Hatten lasche Sicherheitsvorkehrungen bis an diesem 5. September 1972 mit für das lockere Partyleben der Athleten gesorgt, die nachts über den Zaun des Olympiadorfes kletterten, waren es in dieser Nacht elf Terroristen der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“, die genau diesem Beispiel folgten.
Wie sie die israelische Olympia-Mannschaft überfielen und bei der heillos misslungenen Befreiungsaktion am Flughafen Fürstenfeldbruck 17 Menschen umkamen, darunter alle Geiseln und ein Polizist, das drückte den bis dahin zu heiteren Spielen für alle Zeiten einen Brandstempel auf. Die Autoren schildern diese Ereignisse mit der gebotenen Ausführlichkeit, aber auch die weitere Entwicklung zum trotzigen „The Games must go on!“
All das ist sachlich und zugleich sehr unterhaltsam dargelegt, vor allem aber wird hier ein hochinteressantes Gesamtbild geboten: alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens einschließlich der noch meilenweit entfernten Emanzipation der Frauen.

# Markus Brauckmann/Gregor Schöllgen: München 72. Ein deutscher Sommer; 365 Seiten, div. SW-Abb.; DVA, München; € 25

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: SB 459 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de