AMOR TOWLES: „LINCOLN HIGHWAY“


Nach seinem eher klaustrophobischen Welterfolg „Ein Gentleman in Moskau“ geht Amor Towles mit seinem neuen Roman in die Grenzenlosigkeit eines Roadtrips. Wobei allerdings auch Frachtzüge eine Rolle spielen.
Vor allem aber geht es ab auf dem legendären „Lincoln Highway“, der dem Epos auch seinen Titel gibt. Vom Times Aqure in New York City bis zum Lincoln Park in San Franciso streckt sich diese erste Straße, die die USA vom Ostenb bis zum Westen durchquerte. Schon 1912 wurde dieser 3.300 Meilen lange Transcontinental Highway eingeweiht.
Als der 18-jährige Emmett Watson am 12. Juni 1954 zur Farm im Nebraska heimkehrt, hat er allerdings keine Gedanken an dies Fernstraße. Die Farm hat jetzt die Bank einkassiert, nachdem der als Farmer von Grund auf erfolglose Vater an Krebs gestorben ist. Die Mutter war vor acht Jahren gleich nach der Geburt von Emmetts Bruder Billy wortlos abgehauen.
Emmett hat 18 Monate in einer Jugendstrafanstalt hinter sich, weil er im streit einen anderen Teenager durch ein Missgeschick getötet hat. Nun will der wortkarge und durch und durch aufrechte junge Mann nur noch eines: mit Billy nach Texas fahren und eine neue Zukunft aufbauen.
Der ebenso pfiffige wie belesene Billy aber besteht auf einer ganz anderen Zielrichtung. In Vaters Schreibtisch hat er nämlich Postkarten von der Mutter gefunden, die der Vater vor den Jungen verborgen hatte. Die zeigten nach Billys Überzeugung, dass ihre Mutter damals nach San Francisco fortgegangen sei und nun müssten sie dringend dort nach ihre suchen.
Emmett lässt sich überreden, mit seinem 48er Studebaker – den die Bank nicht einkassieren durfte, weil er sein persönlicher Besitz war – und Billy auf dem Lincoln Highway nach Westen zu fahren. Eine große Hilfe sind dabei die 3.000 Dollar, die der Vater als heimliches Erbe darin versteckt hat.
Doch die Brüder sind sich noch nicht mal ganz einig, da tauchen plötzlich zwei Gestalten auf, die Emmett nur zu gut kennt: Duchess und Woolly, Kumpels aus der Strafanstalt und von dort ausgebüchst. Die wollen auch weg auf dem Lincoln Highway, aber in die entgegengesetzte Richtung, denn Woolly stammt aus einer New Yorker Familie des Geldadels.
Und es gibt da ein Treuhandkonto, das sein Großvater mit 150.000 Dollar für ihn eingerichtete hat. Da der Einfaltspinsel jedoch eingesessen war und offiziell als „gemütskrank“ gilt, verweigerte der Treuhandverwalter ihm den Zugriff. Woolly steht nun jedoch unter einer Art fürsorglichem Schutz von Duchess, einem Filou und Schlitzohr – und in seinen Kapiteln als Ich-Erzähler ein herrlicher Narzisst.
Prompt klauen diese Beiden den Studebaker und verschwinden auf dem Lincoln Highway, aber nach Osten. Zwar wird daraus eine etwas Art von Roadtrip voller Pannen und Umwegen, für Emmett und Billy aner bleibt erst einmal nur die Jagd nach dem gepflegten rauchblauen Auto. Wofür sie nun die andere und gleichermaßen typisch amerikanische Fortbewegungsweise wählen müssen: illegal mit Frachtzügen.
Da ja auch ihr Geld im Auto ist, wird es um so strapaziöser und immer wieder auch brenzlig für die Beiden, voran zu kommen. Sehr seltsame Typen sind es, die ihnen weiterhelfen. Oder für kritische Situationen sorgen, die zuweilen ins Skurrile gehen. Wobei sich ausgerechnet der angebliche Pastor John als der größte Mistkerl erweist.
Erzählt wird der schier endlose Trip der drei so unterschiedlichen 18-Jährigen und des altklugen Achtjährigen im Stil der großen amerikanischen Roadtrip-Autoren und nicht nur wegen der vier ganz jungen Hauptfiguren erinnert dieser Roman zuvörderst an einen modernen Mark Twain.
Fazit: ein wunderbarer Sommerroman mit gediegenen Charakteren und vielen überraschenden Wendungen, der bis zum Finale überzeugt. Und im Übrigen absolut filmreif.

# Amor Towles: Lincoln Highway (aus dem Ameriknaischen von Susanne Höbel); 575 Seiten; Hanser Verlag, München; € 26

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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