JONATHAN LEE: „DER GROßE FEHLER“


Am Freitag, dem 13. November 1903, wurde Andrew Haswell Green vor der Tür seines Hauses in der New Yorker Park Avenue erschossen. Der Afroamerikaner Cornelius Williams als Mörder wurde noch am Tatort verhaftet, die Tat bleib jedoch geraume Zeit gänzlich rätselhaft.
Mit dem 83-jährigen Green wurde ein zu Unrecht inzwischen weitgehend vergessener großer Mann der Stadtgeschichte umgebracht. Green war quasi der Vater des modernen Greater New York, auf den zum Beispiel der Central Park und viele bedeutende Gebäude wie die New York Public Library und das Metropolitan Museum of Arts zurückgehen.
Eine bedeutsame Vita wurde jäh durch Mörderhand beendet und nun hat der englische Erfolgsautor Jonathan Lee daraus mit dem Roman „Der große Fehler“ eine eindrucksvolle Hommage Greens gemacht. Die beginnt mit dem fatalen Anschlag, führt dann jedoch auch weit zurück in die Vergangenheit des Farmersohnes, der 1820 in ärmlichen Verhältnissen in Massachusetts geboren wurde.
Parallel werden die schwierigen Ermittlungen von Inspektor McClusky geschildert, die erst spät zu einem überraschenden Ergebnis führen. Zuvor wird unter anderem aufgedeckt, dass sowohl der Mörder wie auch Green in jungen Jahren zeitweise auf der Karibikinsel Trinidad arbeiteten, Williams allerdings durchaus unter sklavenähnlichen Bedingungen. Doch auch eine in New Yorks Gesellschaft bekannte Edelprostituierte rückt im Rahmen der Untersuchungen in den Blick der Polizei.
Wirklich spannend aber erweist sich die Entwicklung Greens, für dessen Aufstieg ein Mann von entscheidender Bedeutung wird: Samuel J. Tilden, Rechtsanwalt und später Gouverneur von New York und sogar Präsidentschaftskandidat. Der sechs Jahre ältere angehende Anwalt beeindruckt und fördert Green nicht nur, sie werden auch lebenslange beste Freunde.
Die wahren Gefühle der Beiden füreinander aber sind so, dass sie absolut geheim bleiben müssen. Eine Tragik, die beider Privatleben mit viel Einsamkeit und unerfüllten Sehnsüchten belastet. Und es wird vermutet, dass auch die Präsidentschaftskandidatur daran scheiterte, dass Tilden unverheiratet war. Wobei Autor Lee diesen besonderen Aspekt der Männerfreundschaft übrigens sehr dezent behandelt.
Die berufliche Greens aber entwickelte sich prächtig, auch wenn manche seiner Visionen nicht überall gut ankamen. Die Zeugnisse seines Wirkens jedenfalls sind bis heute unübersehbar, hat dieser durchsetzungsfähige Stadtplaner doch den Big Apple geprägt wie kaum ein Anderer vor und nach ihm.
Dieser Roman ist denn auch trotz der Mordtat und der ebenfalls akribisch beschriebenen polizeilichen Ermittlungen kein Krimi, sondern eher eine Hommage an eine bedeutende Persönlichkeit. Und die erscheint außerordentlich authentisch, denn Jonathan Lee hat bei seinen Recherchen auch bisher unveröffentlichte Briefe und Tagebücher Greens auswerten können.
Fazit: dank der kunstvollen Prosa und manch komplexer Passagen bietet „Der große Fehler“ ein anspruchsvolles Lesevergnügen.

# Jonathan Lee: Der große Fehler (aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence); 381 Seiten; Diogenes Verlag, Zürich; € 25

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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