GREGOR SANDER: LENIN AUF
SCHALKE
Immer wieder sind in den 30 Jahren nach der Wiedervereinigung furchtbar schlaue Menschen
aus dem Westen Deutschlands in den Osten gereist, um sich die Ossis
anzuschauen und über ihr So-Sein Artikel oder ganze Bücher zu verfassen.
Nun war es an der Zeit für eine Retourkutsche und die hat mit Gregor Sander ein echter
Native East German geschrieben, seines Zeichens gebürtig aus Schwerin und
dort auch zu DDR-Zeiten aufgewachsen. Seine Freunde hatten den Erfolgsautor gedrängt, mal
auf all die Schreibereien der Wessis nach Ost-Besuchen zu kontern.
Herausgekommen ist dabei Lenin auf Schalke und dieses Buch geriet so
nonfiktional, dass der Verlag sinnigerweise auf die Einstufung als Roman verzichtete. Aber
warum aufgerechnet Gelsenkirchen? Weil das statistisch belegt die ärmste Großstadt
Deutschlands ist, Gesamtdeutschlands wohlgemerkt. Die höchste Arbeitslosigkeit, das
geringste Pro-Kopf-Einkommen.
Aber erstaunlich gute Luft, weil ja kaum noch ein Industriebetrieb Emissionen ausstößt.
Der Volksmund nennt es den Osten im Westen und den erkundet Sander nun. Unterstützt wird
er vor Ort von Zonengabi, einer sächsischen Kurzzeitberühmtheit vom 9.
November 1989 und Cousine von Freund Schlüppi in Schwerin. Die sich längst wohlig
eingerichtet hat in diesem heruntergekommenen Biotop.
Wo die glorreiche Kohlevergangenheit 1000 Meter unter der Erdoberfläche schlummert und
selbst das mythische S04 aus dem Stadtteil Schalke nur noch zweitklassig ist (geschrieben
vor dem Wiederaufstieg von Schalke 04 im Mai 2022!). Eine seltsame, irgendwie fatalistisch
hingenommene Tristesse findet Sander allenthalben vor, aber auch allerlei
Widersprüchliches.
Oder so Skurriles wie den titelgebenden Lenin. Da staunt der Fremde aus dem Osten über
die Einweihung des ersten Lenin-Denkmals in Westdeutschland, so geschehen vorm ehemaligen
Sparkassengebäude, wo jetzt die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) ihre
Zentrale hat. Wurde tatsächlich vor Gericht so freigeboxt und nun mit kapitalistischer
Brause von Coca Cola begossen.
Viel satte Ruhrpottsprache und knochentrockener Humor machen diesen speziellen
Reisebericht eines Ossis aus dem Westen zu einem realsatirischen Stück
Gegenwartsliteratur. Das viel zum Schmunzeln aber auch manches zum Nachdenken offenbart.
Und als Retourkutsche echt gelungen ist.
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