J. L. CARR: LEBEN UND WERK
DER HETTY BEAUCHAMP
J. L. Carr (1912-1994) war ein englischer Erfolgsautor mit vor allem bildungsorientierten
Themen, da er selbst einst als Lehrer gearbeitet hatte. Nun erscheint sein siebter und
vorletzter Roman von 1988 erstmals auf Deutsch. Einerseits scheint er nicht nur deswegen
ein wenig aus der Zeit gefallen, andererseits besticht er auch heute noch mit seiner
Eleganz und den zeitlosen Grundthemen.
Leben und Werk der Hetty Beauchamp lautet der Titel, der eine 18-Jährige in
den Mittelpunkt stellt. Eigentlich heiß0t die Ich-Erzählerin Ethel Birtwisle,
bildungsbeflissene Tochter einer engstirnig kleinbürgerlichen Familie in den Fens. Diese
ostenglische Moor- und Sumpflandschaft ist tiefste Provinz mit erzkonservativen Menschen
mit einer Geisteshaltung, die noch längst nicht in den 80er Jahren angekommen ist.
Das ohnehin sehr eigenwillige Mädchen hat auch noch eine Lehrerin, die ihre
Literaturbegeisterung auf sie überträgt. Sehr zum Unwillen des Vaters, dem sie das
Verhalten eines Foxterriers bescheinigt. Schlimmer aber: der jähzornige Griesgram führt
sich zuhause als der Eine und Einzige auf und die Berufsideen seiner
intelligenten Tochter bringen ihn auf die Palme.
Bis er eines Tages vollends und brutal handgreiflich ausrastet. Woraufhin die
eingeschüchterte Mutter Ethel erst eröffnet, dass sie ein Adoptivkind sei und ihr
zweitens ganz dringend nahelegt, sofort zu verschwinden, bevor noch Ärgeres passiere.
Ethel empfindet weniger Schock als vielmehr eine große seelische Befreiung und macht sich
gleich davon. Und sie nennt sich fortan Hetty Beauchamp.
Statt wie zuvor mit einer Freundin zusammen erträumt, fährt sie jedoch nach Birmingham,
denn aus einem dortigen Entbildungsheim wurde sie damals als Baby adoptiert. Glückliche
Zufälle führten sie dort in die altehrwürdige Pension der exzentrischen Rose
Gilpin-Jones. Hier nun netfaltet sich ein bunter Kosmos mit hinreißened skurrilen
Charakteren mit ebensolchem Verhalten und 'very British' Spleens.
Erwartungsgemäß beginnt Hetty neben ihren Bemühungen um einen Studienplatz, um
Literatur zu studieren, jetzt mit der Suche nach ihren leiblichen Eltern. Dazu sei nur
noch so viel verraten: sie findet ihre Mutter, aber es werden eher harte Konfrontationen.
Doch so ernsthaft und realistisch diese Begegnungen geschildert werden, so köstlich sind
die übrigen oft geradezu screwballmäßigen Dialoge.
Dieser Bildungsroman der besonderen Art wird mit seiner geschliffenen Prosa in
hervorragender Übersetzung und seinem intellektuellen Witz hohen Ansprüchen
gerecht und bietet auch mit seinem Charme der 80er Jahre ein hohes Lesevergnügen.
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