JENNIFER LUCY ALLAN: „DAS LIED DES NEBELHORNS“


Was kann eine junge Frau dazu bringen, eine Doktorarbeit ausgerechnet über Nebelhörner zu schreiben? Es war ein Erlebnis, das sie wie auch zahlreiche andere im Publikum zu Tränen rührte: das „Foghorn Requiem“, dargebracht am 22. Juni 2013 am Leuchtturm von Souter Point an der nordöstlichen Küste Englands.
Drei Bläserensembles mit insgesamt 65 Musikern spielten dort und dann ertönte mittendrin der monströse Tiefton-Sound von ohrenbetäubenden 120 Dezibel des Nebelhorns am Leuchtturm, dem über 50 vor der Küste dümpelnde Boote und Schiffe mit ihren Signalhörnern und Sirenen antworteten.
Da war es um Jennifer Lucy Allan geschehen und sie begann weltweite Erkundungen zum Phänomen der Nebelhörner. Entstanden ist daraus das ebenso funderte wie poetische erzählende Sachbuch „Das Lied des Nebelhorns“. Eine Leidenschaft für Underground- und experimentelle Musik war wichtige Voraussetzung für Allans Obsession und die hatte sie auch beruflich als Musikjournalistin umgesetzt. Und als solche war sie ja auch mit ihrem Hang zu großer Lautstärke auf Souter Point gestoßen.
Das dortige Nebelhorn aber sei gewaltiger und aufregender als jede Band und jeder Lautsprecherturm gewesen – das „Foghorn Requiem“ ist übrigens als YouTube im Netz zu finden! - und sei ein wahres Soundsystem für die endlosen Ozeane. Allan beschreibt jedoch nicht nur den ebenso gigantischen wie tief melancholischen Klang dieser hupenden Diaphone, sondern auch deren Technik.
In den 1850er Jahren entstanden die ersten Nebelhörner an den sturmumtosten Ostküsten Kanadas. In der Regel leitet man darin Druckluft durch einen Kolben, anfangs noch dampfbetrieben, später meist mit Kompressoren, gespeist mit der Kraft von Dieselmotoren. Natürlich geht die Autorin auf den hohen Wert dieser Anlagen für die Schifffahrt ein, die seit jeher insbesondere durch Nebel viele Verluste erlitt.
Der unschätzbare Vorteil der lautstarken Signalgeber: Nebel ist kein Hindernis für den Schall. Dazu erzählt die Autorin viel Maritimes einschließlich mancher Mythen und Anekdoten. Wobei sie zur Schilderung mancher fataler Havarien klarstellt: „Wenn im Nebel ein lautes Signal ertönt, ist das Ausdruck einer allerletzten Warnung und nicht die Rettung.“ Und während sie einerseits auch über alternative Warnsysteme bis hin zu weitschallenden Unterwasserglocken spricht, konstatiert sie andererseits den Schwund der altbewährten Nebelhörner in Zeiten von Radar und GPS.
Man muss keinem maritimen Beruf nachgehen, um von diesem Buch gefesselt zu werden. Nebelhörner als „die Tonspur des Nebels“, Nebel auch als etwas Mystisches und Beängstigendes und das Alles unter dem Eindruck eines archaisch wirkenden Klangerlebnisses, das führt auf eine literarische Seereise der besonderen Art.

# Jennifer Lucy Allan: Das Lied des Nebelhorns. Eine Klang- und Kulturgeschichte (aus dem Englischen von Rudolf Mast); 331 Seiten; marebuchverlag, Hamburg; € 24

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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