MIRANDA COWLEY HELLER: „DER PAPIERPALAST“


Eleanor Bishop, von allen nur „Elle“ genannt, liebt seit jeher die Sommerwochen in den Back Woods am Cape Cod in New England. Das besondere Refugium der Familie mit Haupthaus und Schlafhütten hatte einst der Großvater gebaut. Ein wenig primitiv ist das Ensemble und weil die Innenwände nur mit Pappe statt Brettern ausgekleidet sind, heißt das Ganze Papierpalast.
„Der Papierpalast“ heißt denn auch der Titel von Miranda Cowley Hellers in den USA bereits viel gerühmten Debütroman. Ein Neuling aber ist die Autorin wahrlich nicht, denn sie zählt zu den angesagtesten Serienentwicklern mit Erfolgen wie „Die Sopranos“. Hinzu kommt ihre genaue Kenntnis der eindrucksvollen Küstenlandschaft, denn in jungen Jahren verbrachte sie selbst viele Sommer am Cape Cod.
Der Roman beginnt am 1. August und Elle geht einmal mehr früh zum Schwimmen in einen der Seen hinterm Papierpalast. Sie will zur Besinnung kommen nach einem denkwürdigen Abend mit viel Gesellschaft und einem Ausreißer, der alles in Frage stellt. Ihre Mutter und ihr Ehemann Peter waren dabei, die drei Kinder und Freunde. Trotzdem fand Elle Gelegenheit, ihren Mann mit ihrem besten Freund Jonas zu betrügen.
Die Geschehnisse dieses Augusttages werden nun geradezu minütlich von Ich-Erzählerin Elle wiedergegeben und bleiben doch zunächst nur schwer nachvollziehbar. Hier aber setzt die exzellente Doppeldramaturgie an, denn immer wieder schiebt Elle Episoden aus ihrer eigenen und auch der Vergangenheit von Familienmitgliedern ein. Die beginnen bei ihrer Geburt im September 1966, sind durch klare Zeit- und Ortsangaben gekennzeichnet und laufen chronologisch fort.
Die Tage im Papierpalast waren stets die Höhepunkte der Jahre, doch auch sie waren stets von dem geprägt, was sie und ihre etwas ältere Schwester Anna als Opfer selbstsüchtiger Eltern in wechselnden Patchworkfamilien durchlitten. Die ebenso attraktive wie kühle bis garstige Mutter Wallace gab nie so etwas vie Geborgenheit und der Vater bleibt eine schwache Nebenfigur, die die Töchter immer wieder enttäuscht.
Um so wichtiger wurde für Elle der etwas jüngere Jonas, dem sie mit 13 bei einem ihrer geliebten Streifzüge durch die Wälder begegnet. Natürlich wird aus inniger Freundschaft dann auch eine zunächst stille platonische Liebe. Doch tragische Ereignisse zerstören die Idylle und belasten die Verbindung der beiden mit einem düsteren Geheimnis.
Dennoch ist Elle ein Glück vergönnt, als sie beim Studium in England den charmanten und sehr verlässlichen Journalisten Peter kennenlernt. Die Achterbahnschleifen nicht nur ihres Lebens aber bleiben ungebremst und dieser Roman wird nie zu einem Sommer-Wohlfühlbuch. Dafür sorgt schon „der unverdaute Schmerz eines ganzen Lebens.“ Zu dem neben Übergriffen und Demütigungen dann selbst einschneidende Schreckensmomente wie Verrat, Inzest und Vergewaltigung gehören.
Und schließlich, wenn alles auf eine Entscheidung zutreibt, steht die jetzt 50-jährige Elle vor einem schier unauflöslichen Dilemma: „Jonas ist animalisch. Peter ist mineralisch. Und ich brauche einen Felsen.“ Bis dahin erst formt sich endgültig das gesamte Bild dieser hin- und hergerissenen Frau aus den Entwicklungsschritten und macht Stück für Stück verstehbar, warum sie so handelt, wie sie es an diesem Augusttag in der Gegenwart tut.
Das Alles beginnt sperrig und belohnt doch die Geduld schon bald mit einer unentrinnbaren Faszination, zu der auch die eindrucksvollen Naturbeschreibungen beitragen. Dieser Roman fesselt mit einem breiten, oft sehr detaillierten Erzählfluss. Der erscheint zuweilen fast zu viel des Guten und sorgt zugleich dafür, dass „Der Papierpalast“ derartig rund und perfekt geworden ist.
Wofür im Übrigen auch die exzellente Übersetzung beiträgt, nachdem das Original für seine starke Prosa gelobt wurde. Im Übrigen darf man erwarten, dass Miranda Cowley Heller als Expertin auch für dieses Werk für eine filmische Realisierung sorgen wird.

# Miranda Cowley Heller: Der Papierpalast (aus dem Amerikanischen von Susanne Höbel); 441 Seiten; Ullstein Verlag, Berlin; € 23,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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