VOLKER WIDMANN: „DIE MOLCHE“


Einen ganz erstaunlichen Roman hat Volker Widmann mit seinem Debüt „Die Molche“ vorgelegt. Im Mittelpunkt stehen Kinder und die Erwachsenen spielen Nebenrollen und meist keine besonders guten.
Trotzdem ist dies ganz und gar ein Roman für Erwachsene, der tief unter die Haut geht. Dabei agiert als Ich-Erzähler mit Max ein anfang noch Elfjähriger. Hilflos muss der mit ansehen, wie die Tschernik-Bande seinen verträumten und etwas kränkelnden Bruder zum Gaudium so mit Steinwürfen bewirft, dass er daran stirbt.
Für Max ein Trauma, das noch dadurch verstärkt wird, dass sämtliche Erwachsene im Dorf die Tat als Unfall abtun. Doch die Stimmung ist so in diesen frühen 60er-Jahren, bloß keine Konflikte und über die Vergangenheit wird nicht gesprochen. Die Mütter tun brav ihre Pflicht, wogegen die Väter unnahbar sind und ihre Kriegserlebnisse mit sich selbst ausmachen. So mancher ist ein Kriegsversehrter, an der Seele beschädigt aber sind fast alle.
Für Max jedoch wiegt die Schuld seiner Hilflosigkeit schwer, zumal er als Zugezogener ohnehin keine Freunde unter den einheimischen Kindern hat. Damit ist er sogar ein bevorzugtes Ziel der Rüpel um den ein paar Jahre älteren Schläger Tschernik. Der mit seiner Brutalität und Verschlagenheit allerdings auch die anderen Kinder im Dorf immer wieder terrorisiert.
Obwohl seine Mutter sich sehr um ihn und seine Geschwister bemüht, muss Max seine Seelenqualen mit sich selbst abmachen. Vom wortkargen Vater, der unter der Woche in einem Institut in der Stadt arbeitet und daheim allenfalls mal den Rohrstock sprechen lässt, hat er ebenfalls außer Schweigen nichts zu erwarten: „Der erstickt noch mal an seinem Mundhalten.“
Trost findet der Junge vorerst nur beim Herumstreifen in der Natur, die ihn fasziniert. Als er dabei jedoch eine erneute Gemeinheit der Tschernik-Bande erlebt, geht seine Qual bis hin zur Verzweiflung „über diese entsetzliche Welt“.
Was sich erst lindert, als er schließlich doch noch Freunde findet, ebenfalls leidgeprüft durch Tschernik-Auswüchse. Aus Max, Heinz und Rudi wird ein echtes Jungen-Trio, das allerlei Abenteuer erlebt und allmählich sogar auf Rache an der Bande sinnt.
Andererseits kommen sich auch Max und die ernste strebsame Marga freundschaftlich näher. Allerdings ist Max dann auch verwirrenden Verlockungen der wenig älteren Ellie ausgesetzt. Dieses frühreife Früchtchen verführt ihn zu „Spielchen“, mit denen er noch gar nichts anzufangen weiß. Die weitere Entwicklung aber und ob sich Max befreien kann aus seine unschuldig angehäuften Schuld, das sei hier nicht verraten.
Dieser Roman über das Wegschauen und Schweigen der Erwachsenen im Westdeutschland der Nachkriegszeit fesselt als intensives Buch mit einer großartigen Erzählerstimme, die nicht altklug sondern ganz und gar authentisch daherkommt. Zudem überzeugt dieser außergewöhnliche Roman mit seinen starken Sinneseindrücken und großartigen Naturbeobachtungen.

# Volker Widmann: Die Molche; 252 Seiten; DuMont Verlag, Köln; € 22

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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