KIEßLING/SAFFERLING: „STAATSSCHUTZ IM KALTEN KRIEG“


1950 wurde in der jungen Bundesrepublik die Bundesanwaltschaft mit Sitz in Karlsruhe gegründet. Erst eine große Untersuchung zu deren Geschichte, die der Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank 2017 in Auftrag gab, eröffnete das ganze Ausmaß, eröffnete das ganze Ausmaß, in dem ehemalige Nazis diese oberste bundesdeutsche Ermittlungsbehörde beherrschten.
Als Experten wurden die einschlägig erfahrenen Professoren Friedrich Kießling, Historiker, und Christoph Safferling, Strafrechtler, beauftragt. Ihr Bericht liegt nun unter dem Titel „Staatsschutz im Kalten Krieg. Die Bundesanwaltschaft zwischen NS-Vergangenheit, Spiegel-Affäre und RAF“ vor.
Auf erschreckende Weise kehren die Erkenntnisse hervor, in welch eklatantem Maße das fast durchweg juristische Personal dieser kleinen Behörde den Wechsel vom Hakenkreuz zum Bundesadler vollzogen hat, ohne wesentlich von der alten Gesinnung abzuweichen. Für 1953 stellen die Autoren fest, dass 80 Prozent der hier tätigen Juristen eine NSW-Vergangenheit hatten und einige Bundesanwälte sogar in SS-Standgerichten mitwirkten.
Geradezu demonstrativ blind waren diese als oberste Staatsschützer fungierenden Juristen selbstredend auf dem rechten Auge. Um so radikaler sorgten sie für die Verfolgung von Bürgern mit der falschen Gesinnung bis hin zum Verbot der KPD, wo aber schon weit geringere politische Verfehlungen zur Verfolgung reichten.
Natürlich wurde für diese Aufarbeitung der Behördengeschichte auch der Höhepunkt des Verfassungsbruchs untersucht, die SPIEGEL-Affäre von 1962. Bei diesem Versuch, die missliebige freie Presse zu unterdrücken, verursachten die Gesinnungsjuristen dank des starken öffentlichen Widerstands nicht nur einen massiven Rohrkrepierer sondern gleich noch eine ganze politische Krise, die Bundeskanzler Adenauer beschädigte und Verteidigungsminister Strauß sogar das Amt kostete.
Doch schon kurz zuvor sorgte die große Verderbtheit innerhalb der Bundesanwaltschaft für einen Eklat, als Wolfgang Fränkel im März 1962 zum Generalbundesanwalt berufen wurde. Seine NS-Vergangenheit war besonders schäbig gewesen und hier es ausgerechnet eine 130 Seiten umfassende Dokumentation aus der DDR, die ihn zu Fall brachte.
Dieser Einser-Jurist war nicht nur bereits im Mai 1933 der NSDAP beigetreten und als „sehr ergeben“ gelobt worden – mit nüchternen Fakten wurde belegt, dass er an über 30 fragwürdigen Todesurteilen beteiligt war. Nach nur vier Monaten wurde Fränkel in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Der er mit hoher Pension noch 48 Jahre unbehelligt genießen konnte.
Selbst bei Beginn der Großen Koalition von CDU und SPD im Jahr 1966 belegen die untersuchenden Experten, dass noch immer zehn der elf amtierenden Bundesanwälte einst wie der jetzt regierende Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ehemalige Mitglieder der NSDAP waren.
Die sehr detaillierte Studie reicht bis 1974 in die Anfänge der RAF-Zeit. Sie endet mit der Ära von Generalbundesanwalt Ludwig Martin. Die Folgezeit unter anderem mit den einschneidenden Ereignissen des „Deutschen Herbstes 1977“ einschließlich der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback – auch er übrigen einst Mitglied der Nazi-Partei – wartet nun auf eine weitere Untersuchung bis in die Gegenwart mit solchen Phänomenen wie dem NSU.
Fazit: ein wichtiges Kapitel bundesrepublikanischer Geschichte wurde hier in nüchtern wissenschaftlicher Expertise aufgearbeitet und die liest sich dabei trotzdem ausgesprochen fesselnd.

# Friedrich Kießling/Christoph Safferling: Staatsschutz im Kalten Krieg. Die Bundesanwaltschaft zwischen NS-Vergangenheit, Spiegel-Affäre und RAF; 607 Seiten; div. SW-Abb.; dtv Verlag, München; € 34

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) 

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