YVAN GOLL: „SODOM UND BERLIN“


Der deutsch-französische Romancier und Dramatiker Yvan Goll (1891-1950) veröffentlichte 1929 seinen grotesk-satirischen Roman „Sodom et Berlin“ über die brodelnde Metropole in den wilden 20er Jahren. Erst 1980 gab es eine deutsche Fassung, die inzwischen jedoch längst vergriffen ist.
Nun liegt „Sodom und Berlin“ in einer brillanten Neuübersetzung von Gerhard Meier vor und bietet eine wahrhaft außergewöhnliche Lektüre. Rasant und wie im Fieber pflügt sich das Zeit- und Sittenpanorama durch das exaltierte Leben in der Stadt des frostigen Wahnsinns, wie es Goll gleich zu Beginn ankündigt: „Ach, die sieche, eitrige Stadt.“
Voller Kriegsheimkehrer, Lebenskünstlern, Tagedieben, Vergnügungssüchtigen und Schiebern präsentiert sie sich und mittendrin Dr. Odemar Müller. Eigentlich war der einst Kaisertreue Oberförster in Thüringen und so teutonsich wie aus dem Kabarett. Doch dieser Mann ist wandelbar wie ein Chamäleon und heißt zwischendurch von ihm: „Die Charakterlosigkeit war sein Charakter.“
Als Student naiv, dann aber auch ein Militarist, Romantiker, Revolutionär, Inflationsgewinnler und stets prinzipienlos bis ins Mark, hetzt er durch die wild bewegte Zeit. Wie ein rasend voranschreitender Film treiben die wirren Ausschläge von hemmungsloser Lebensgier Odemar durch das Jahrzehnt. Das erscheint ebenso real wie surreal und reißt als fiebriger Bocksgesang mit.
Wie unterm Mikroskop entlarvt Goll den dekadenten Totentanz einer entwurzelten Gesellschaft. Da fallen aber auch funkelnde Sätze von philosophischem Fatalismus wie „Der Weise, der ein sterbliches Herz hat, verlangt nichts Ewiges mehr, nicht einmal Treue.“ Der Schauspieler, Übersetzer und Essayist Hanns Zischler gibt dazu in einem ausführlichen Nachwort kluge Erläuterungen.
Yvam Goll, der von sich selbst bekannte, er sei ein Weltbürger mit französischem Herzen, deutschem Geist, jüdischem Blut und amerikanischem Pass, hatte diesen schmalen Roman ja für ein französisches Publikum geschrieben. Spätestens diese Neuübersetzung sollte unbedingt Anlass sein, ihn auch für die deutschsprachigen Leser neu zu entdecken.

# Yvan Goll: Sodom und Berlin (aus dem französischen von Gerhard Meier); 184 Seiten; Manesse Verlag, München; € 20

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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