MICHELLE PAVER: „TEUFELSNACHT“


Edmund Stearne ist ein wohlhabender Grundbesitzer und angesehner Historiker im ländlichen Südosten Englands mit makellosem Ruf. Was bringt einen solchen Mann dazu, eines Tages mit einem Eispickel und einem Geologenhammer aus dem Haus zu gehen und den nächstbesten Menschen aufs Brutalste zu ermorden?
Die Zeitungsmeldung über das rätselhafte Verbrechen von 1913 eröffnet den Roman „Teufelsnacht“ von Michelle Paver. Die englische Erfolgsautorin führt jetzt im Jahr 1966 den Reporter Patrick Rippon nach Wake's End zu jener Villa am Rande des Moors, wo die Tochter des Mörders noch immer einsam lebt. Maud war 16, als sie Augenzeugin des grausigen Geschehens wurde.
Vieles blieb seinerzeit unaufgeklärt, denn sie hatte das meiste verschwiegen und den Ermittlern vor allem das Tagebuch des Vaters vorenthalten. Andererseits hatte der damals sofort gestanden: „Ich war es, aber ich habe nichts falsch gemacht.“ Und er war für den Rest seines Lebens in der Psychiatrie gelandet. Wo er drei alptraumhafte Gemälde schuf, die bei ihrer späteren Veröffentlichung für eine Sensation sorgten.
Im Mittelpunkt aber steht das perfide Vater-Tochter-Verhältnis. Stearne war ein finsterer Tyrann und steigerte sich – nicht zuletzt wegen einer alten Schuld – in den religiösen Fanatismus. Er hasste Frauen, war zugleich aber ein solch hemmungslos geiler Bock, dass er seine arme Ehefrau Dorothy so unablässig missbrauchte, dass sie schließlich nach einer weiteren Fehlgeburt verblutete.
Wobei hinsichtlich der Rolle der Frau und ihrer ehelichen Pflichten das Recht damals sogar auf seiner Seite war. Und von nun an befriedigte sich der bigotte Lüstling mit der zigeunerhaft attraktiven Magd Ivy, während alle anderen im Haus ihn nur fürchten mussten. Einschließlich der völlig isolierten Maud, die unter der Knute unzähliger strikter Regeln leidet. Doch die düster freudlose Kindheit bricht sie nicht, sie deformiert sie nur. Allmählich wächst ihr zaghafter innerer Widerstand zu Rachsucht und das vor allem wegen des Leids der Mutter.
Und sie entdeckt das Geheimnis des Vaters: er vertieft sich immer unheilvoller in die Schriften einer Mystikerin des Mittelalters und ahnt zugleich nicht, dass die so klein gehaltene Maud sein Tagebuch entdeckt hat. Sie verfolgt darin nicht nur, wie er sich zunehmend in die Ängste vor Dämonen oder gar dem Teufel selbst hineinsteigert – auf subtile Weise schürt sie seinen immer haltloser werdenden Wahn noch.
Bis diese bizarre Spirale in der grausigen Tat gipfelt, bei der allerdings auch Maud Schuld auf sich lädt. Michelle Paver fesselt dabei mit viel psychologischem Fingerspitzengefühl und auch wenn sie eher langsam erzählt, fesselt sie doch ungemein. Fazit: ein düsterer Grusel-Krimi vom Feinsten, der ohne Pathos und explizite Schauereffekte auskommt.

# Michelle Paver: Teufelsnacht (aus dem Englischen von Karin Dufner); 383 Seiten, Klappenbroschur; Piper Verlag, München; € 15

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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