JODI PICOULT: UMWEGE DES
LEBENS
Bestsellerautorin Jodi Picoult zählt zu den großartigsten Gegenwartserzählerinnen und
immer wieder stellt sie dabei sehr ernst oder auch heikle Themen wie zuletzt in Der
Funke des Lebens die Problematik der US-Abtreibungskliniken in den Mittelpunkt.
In ihrem jüngsten Roman Umwege des Lebens mag die Konstellation der
Hauptfiguren ein wenig von einem alltäglichen Personentableau abweichen. Das sollte man
jedoch einfach so akzeptieren, denn gerade so macht es die einzigartig erzählte
Geschichte erst zu einem Geniestreich, wie man ihn selten antrifft.
Dawn Edelsteins erster Satz als Ich-Erzählerin darin lautet: In meinem Kalender
finden sich viele Tote. Das ist ganz seriös gemeint, denn die etwa 40-Jährige
arbeitet als selbständige Sterbebegleiterin. Doch während sie eben auf ihrem Flug über
einige Klienten nachdenkt, melden die Stewardessen einen Notfall: die Maschine müsse
notlanden.
Das könnte den Tod bedeuten, Dawn aber ist verwirrt, denn ihre vermeintlich letzten
Gedanken gelten nicht Brian, mit dem sie glücklich verheiratet ist und auch nicht Meret,
der Tochter im Teenager-Alter. Stattdessen sehe ich ihn. Wyatt, ihre große
Liebe, den sie als angehende Doktorandin der Ägyptologie vor 15 Jahren am ägyptischen
Grabungsort kennengelernt hatte. Die hochkarätige Forschungsarbeit über rätselhafte
Mumien und die Entschlüsselung bedeutungsschwerer Hieroglyphen hatte sie ebenso
zusammengeschweißt wie die heftig aufgeflammte Liebe.
Und dann hatte sie alles überstürzt hinter sich gelassen, als sie die Nachricht erhielt,
dass ihre Mutter im Sterben liege. Nie hatte sie einen Blick zurückgeworfen oder gar
wieder Kontakt aufgenommen. Stattdessen hatte sie im Krankenhaus den Physiker Brian
kennengelernt, der täglich seine ebenfalls im Sterben liegende Großmutter besuchte. Und
sie schätzt Brians Stabilität und die Geborgenheit mit ihm. Was bald in die Ehe und die
Geburt von Meret führte.
Zugleich schulte sie um zur examinierten Sterbebegleiterin. Ihr Talent dafür war groß
und in der fast gleichaltrigen Win, die im Endstadium liegt, findet sei eine besondere
Gesprächspartnerin. Was ist der Tod, was das Leben und dann die zentrale Frage: Was
wurde noch nicht zu Ende gebracht? In diese besonders tiefgehende Phase fällt aus
eigentlich nichtigem Anlass ein Zerwürfnis mit Brian.
Um so intensiver blitzt der Gedanke auf, was sie verpasst haben könnte, als ihr nun der
Tod vor Augen steht. Hätte es ein anderes, ein vielleicht erfüllteres Leben ohne ihre
damalige Entscheidung gegeben? Als sie dann jedoch zu den Überlebenden gehört, sogar
kaum etwas etwas abbekommen hat und die Airline einen Flug zu einem frei gewählten Ziel
anbietet, fliegt sie spontan nach Kairo.
Und Wyatt Armstrong, Nachfahre aus uraltem britischen Adel, arbeitet noch immer an seiner
alten Wirkungsstätte. Doch es sei schon hier klargestellt: die Liebe spielt zwar eine
sehr wichtige Rolle, der Roman geht aber weit über einen wahrhaft gordischen
Beziehungsknoten hinaus. Die Ägyptologie spielt eine große Rolle und der Genuss an
diesen exzellent recherchierten Passagen ist um so größer, wenn man sich als Leser auch
dafür interessiert.
Große philosophische Tiefe offenbaren andererseits die auch psychologisch sehr
überzeugenden Zeiten, die Dawn mit einigen sehr markanten Klienten verbringt. Die Wechsel
der Handlungsstränge sorgen für zusätzliche Spannung, erfordern aber auch hohe
Konzentration beim Lesen. Doch es ist nicht nur die raffinierte Konstruktion, die die hohe
Qualität dieses Romans ausmacht, es sind ganz besonders auch die hinreißenden
Charaktere.
Das Alles steuert schließlich auf ein so kaum erwartetes Finale zu, das die
anspruchsvolle Geschichte endgültig zu einem souverän erzählten literarischen Juwel
macht. Das im Übrigen mit zahlreichen ägyptischen Hieroglyphen und Zeichnungen
illustriert ist.
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