MICHAEL TÖTEBERG: FALLADAS
LETZTE LIEBE
Wer da meint, über Hans Fallada (1893-1947) sei doch alles gesagt, dem sei pünktlich zum
75. Todestag am 5. Februar Michael Tötebergs Roman Falladas letzte Liebe
empfohlen. Auf spannende Weise erzählt der Experte für das Leben und Wirken des großen
deutschen Schriftstellers von der kurzen Spanne, die diesem nach dem Krieg noch blieb, von
dessen dritter Ehefrau und vom Entstehen seines letzten großen Werks.
Seit dem 1. Februar 1945 war der frisch Geschiedene in dritter Ehe mit der 28 Jahre
jüngeren vermögenden Witwe Ulla verheiratet und am 2. September zog das Paar ins
zertrümmerte Berlin um. Die lebenslustige Schönheit war eine himmlische Gabe für ihn
und ein Fluch, denn nach 20 rauschgiftfreien Jahren brachte die schwer Süchtige
Fallada sofort wieder an die Morphiumspritze.
Ständig beschaffte sie neuen Stoff, war aber auch sonst sehr locker mit dem Geld. Bald
landeten beide zu immer neuen Entziehungskuren in den Kliniken. Dabei gab es mit
Wohnungsknappheit, Schwarzmarkt und vielen anderen Schwierigkeiten genug andere Probleme
zu lösen und Fallada hielt sich mit Geschichten für Tageszeitungen notdürftig über
Wasser. Er schrieb zwar auch an dem Roman Der Alpdruck, hatte dafür jedoch
keinen Verlag.
Um so freundlicher war ausnahmsweise mal das Glück in seinem trotz mancher Bucherfolge
von Krisen und Abstürzen geprägten Leben zu ihm: der Dichter und spätere Politiker
Johannes R. Becher war aus dem sowjetischen Exil zurückgekehrt und setzte sich vehement
für ihn ein. So bescherte er Fallada sogar einen Verlagsvertrag für ein vorgegebenes
Projekt. Dafür legte er seinem widerwilligen Schützling eine 90 Seiten umfassende
Gestapo-Akte über ein einfaches Ehepaar vor.
Diese Beiden waren wegen eigenhändig gefertigter naiver Flugblätter gegen das
Hitler-Regime zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Im Namen des Deutschen
Volkes sollte das Buch heißen, das nach Bechers Vorstellung genau in die Zeit
passte. Fallada sträubte sich jedoch, denn er hatte nie Berührung mit dem Widerstand
gehabt und kannte sich auch mit Berlin zu Nazi-Zeiten nicht aus. Auf Bechers Drängen hin
stieg er dann doch ein, begeisterte sich für den Stoff und schrieb das Manuskript immer
schneller nieder.
Ehefrau Ulla begleitete das immer intensivere Schaffen mit Gleichmut und ohnehin konnte er
mit ihr nicht über Literatur reden, sie kannte nicht mal eines seiner zahlreichen
Bücher. Stattdessen versorgte sie ihrer beider Drogenbedarf, der sich bis auf zehn
Ampullen pro Tag für jeden von ihnen steigerte.
Trotzdem vollendete der gequälte Autor das unglaubliche 860 umfassende Werk innerhalb
weniger Wochen. Und, kaum verwunderlich, trieb der unablässige gemeinschaftliche
Selbstmord auf Raten beide erneut in den Entzug. Wo Hans Fallada dann am 5. Februar
1947 verstarb, noch ohne eine erste Druckversion des fertigen Romans gesehen zu haben.
Dessen Titel lautete nun Jeder stirbt für sich allein. Ein ahnungsvoller
Titel, denn genau war es auf tragische Weise auch seinem Autor beschieden, der seine Frau
nicht mehr zu Gesicht bekam, obwohl sie in derselben Abteilung auf Entzug war. Michael
Töteberg betont zur Dramatik seines jetzigen Romans, dass der beinahe schon eher
eine dokumentarische Erzählung sei. Intensiv recherchiert, hat er
Ausschmückungen oder gar Hinzuerfinden vermieden.
Ohnehin war das Leben Falladas bewegter als das mancher Romanhelden, wobei Töteberg ihn
so widersprüchlich und teils sogar unsympathisch gezeichnet hat, wie er ganz
offensichtlich war. Fazit: nicht nur für Fallada-Liebhaber eine großartige Lektüre auf
historisch echter Ebene.
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