BETHANY CLIFT: „DIE LETZTE MACHT DAS LICHT AUS“


„Arschloch! Das waren die letzten Worte, die ich zu einem lebenden Menschen sagte.“ Mit diesem spektakulären Satz beginnt ein Roman, der den Leser schüttelt, mitreißt, zuweilen anekelt, tief berührt und dabei ganz einfach grandios ist.
Der drastische Einstieg steht am Anfang von Bethany Clifts Debütroman „Die Letzte macht das Licht aus und wer den lesen will, sollte sich zuvor fragen, ob er sich eine Pandemie-Geschichte antun will, bei der die Menschheit Covid19 eben überstanden hat und diese Seuche vergleichsweise nicht mehr als ein heftiger Schnupfen war.
Die Ausgangslage schildert die namenlose Ich-Erzählerin mit nüchternen Fakten. Am 23. Oktober 2023 bricht in der Kleinstadt Andover im US-Staat Kansas ein Virus aus, der innerhalb einer Woche alle 12.000 Einwohner dahinrafft. Einen Monat nach Ausbruch der Seuche haben die USA als Zivilisation quasi aufgehört zu existieren.
Für genauere Untersuchungen oder gar einen Impfstoff blieb keine Zeit und die extrem infektiöse Krankheit hat denn auch den folgerichtigen Namen erhalten: 6DM = Six Days Maximum, denn das ist der längste Zeitraum, der Infizierten von den ersten leichten Erkältungssymptomen bis hin zur Auflösung der inneren Organe bleibt. Nur Großbritannien scheint dank seiner Insellage die absolute Isolation zu gelingen und zu den rigorosen Maßnahmen gehört sogar die Sprengung des Eurotunnels.
Trotzdem: am 24. November 2023 beginnen mit Fall 1 nun auch im Vereinigten Königreich die letzten zwei Wochen der Zivilisation, wie die 36-jährige Ich-Erzählerin darlegt. Als versierte Journalistin ist es ihr eine Verpflichtung, Notizen zu machen. Wie London erfasst wird, wie ihr Ehemann unter Qualen zugrunde geht und sie ihm nur noch durch das erlösende T600 helfen kann. Das die Regierung angesichts totaler Aussichtslosigkeit auf Hilfe allgemein hat verteilen lassen.
Es sind schockierende Szenarien, manches schlicht ekelerregend. Aber eben realistisch und nur zu ertragen, weil es die Phasen des Luftholens im Erzählstrom gibt. Dann denkt sie an Vergangenes zurück und man lernt sie Stück für Stück näher kennen: eine psychisch instabile Frau mit Zeiten von Angstattacken und großen Selbstzweifeln. Sie ist keine strahlende Heldin und nicht mal immer sympathisch.
Und was ist mit 6MD?! Es dauert eine Weile mit all dem Elend, bis ihr schlagartig bewusst wird – es befällt sie nicht! Sie scheint immun zu sein, während rundherum die Menschheit ausstirbt. Noch vor Weihnachten geistert sie dann durch ein totes London, verstört, extrem einsam. Vollgedröhnt mit Tabletten feiert sie eine Art „Danse macabre“ wie zu Zeiten der Schwarzen Pest im Mittelalter: endlose Schwelgereien mit edlen Getränke und Fressgelagen mit sich allein in den Luxushotels der Metropole.
Doch ihr Taumel kommt abruupt zum Ende, als in der noch immer auf makabre Weise vielfach funktionierenden Großstadt die nächste massive stufe im Ausstieg aus der Zivilisation hereinbricht: ab dem 3. Januar 2024 gibt es keine Elektrizität mehr. Und es wirkt wie ein Weckruf auf die Herumgeisternde, endlich nach anderen Überlebenden zu suchen.
Womit sie sich auf eine Odyssee in den menschenleeren Winter begibt und es als größtes Glück empfinden muss, in dem Golden Retriever „Lucky“ einen lebenden Begleiter zu finden. Ansonsten aber erlebt sie viel Grausiges, Angriffe von Ratten und aggressiven Vögeln und dennoch: sie findet zugleich auch zu sich selbst, zu stärken, die sie nie bei sich vermutete hätte. Dabei erhält der Alptraum sogar noch eine Steigerung, als sie auch noch feststellt, dass sie schwanger ist.
„Das hier ist eine Geschichte des Überlebens nach dem Ende der Menschheit, kein Pandemie-Roman“, betont Autorin Bethany Clift dazu im Nachwort, und diese Geschichte führt in ein starkes Finale. Und lebt bis zuletzt von dieser ungeheuren Wucht, mit der die Ich-Erzählerin all das schildert, ungeschönt und rau, selbstkritisch und zuweilen mit grimmigem Humor.
Die Stimmung lässt mindestens so frösteln wie die Endzeitromane von Cormac McCarthy, doch wie bei ihm ist auch in „Die Letzte macht das Licht aus“ alles hervorragend ausgefeilt und ungemein fesselnd. Hier gebührt im Übrigen der Übersetzung von Lilith Wagner großes Lob. Fazit: Ein literarisches Juwel der dystopischen Literatur. Abschließend sei noch darauf hingewiesen,, dass die Autorin im Hauptberuf Regisseurin und Filmproduzentin ist. Und ihr Roman bietet alle Voraussetzungen für einen wahren Kultfilm. Zu dem dann allerdings wegen mancher unverzichtbarer Details Kotztüten im Kino verteilt werden müssten.

# Bethany Clift: Die Letzte macht das Licht aus (aus dem Englischen von Lilith Wagner); 463 Seiten, Klappenbroschur; Heyne Verlag, München; € 16

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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