GERHARD HENSCHEL: „SCHAUERROMAN“


„So und nicht anders wollte ich mein Leben lang unterwegs bleiben“. Dieser letzte Satz von Gerhard Henschels mittlerweile neuntem Martin-Schlosser-Roman ist eine verständliche Quintessenz des Ich-Erzählers nach den umfangreichen Erinnerungen an seine Aufstiegsjahre in den 90ern.
„Schauerroman“ lautet diesmal der Titel und wie gewohnt schreibt Henschel wieder sehr autobiografisch, denn dieser 1962 geborene Martin Schlosser ist sein ziemlich deckungsgleiches Alter Ego. Was 2004 mit seinem „Kindheitsroman“ begann, ist in dieser Art einzigartig in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Und wenn der längst mit einer großen Fan-Gemeinde gesegnete Autor dabei gerade auch mit hoher authentischer Detailgenauigkeit glänzt, kann er dabei auf unablässig gefüllte Tage- und Notizbücher zurückgreifen.
Der Titel bezieht sich im Übrigen auf die Endzeit seines verwitweten und verbitterten Vaters, dem es immer schlechter geht. Und dann verstirbt er und Martin kann endlich das Haus auflösen und dem verhassten Meppen dauerhaft den Rücken kehren. Wogegen die zwischenzeitlichen Besuche bei der geliebten Oma in Jever Wärme ausstrahlen und Martin spürbar nicht nur die Kochkünste und die obligatorischen Malefiz-Partien genießt.
Was aber das Schlusszitat wirklich rechtfertigt, sind all die zunehmend erfreulichen Entwicklungen in dieser Zeitspanne von April 1992 bis April 1994. Immer umtriebiger wird der Möchtegernschriftsteller, dem schließlich tatsächlich der Einstieg in „die Republik der schöngeistigen Querulanten“ und bald auch die ersten Buchveröffentlichungen gelingen. In Berlin erlebt er zudem eine echte WG mit allen Vor- und Nachteilen.
Ungleich wichtiger und durch die nun einsetzenden Lesereisen noch gefördert, setzt nun eine Lebensphase ein, in der auch die sinnlichen Genüsse mit allerlei illustren Partnerinnen zur ständigen Steigerung der Lebensfreude beitragen. Begleitet allerdings von ausgeprägter Bindungsscheu. Da trifft es sich zuweilen so vorzüglich wie mit Lydia, die gern „ein Band aus lauter Liebe“ pflegt, sich dann aber zu neuen Erfahrungen nach Indien absetzt.
Doch es entstehen in diesen Jahren nicht nur immer neue Bücher und andere Schriften des Vielschreibers bis hin zu einem solch speziellen Bestseller wie seine „echte!) Satiure „Das Blöken der Schafe. Die Linke und der Kitsch“. Ohnehin kann er gar nicht anders als satirisch und da lernt er nicht nur namhafte Kollegen dieses Genres wie Eckhard Henscheid und Max Goldt kennen, Martin wird (wie in realiter der Autor) zeitweise Redaktionsmitglied des Satire-Magazins „Titanic“.
Die Begegnungen mit den Kollegen, immer wieder zitierte Briefe und schließlich die Passagen mit Walter Kempowski – der für Gerhard Henschel ein großes Vorbild war – gehören zu den Höhepunkten des Romans. Ansonsten aber lebt auch die neunte Folge der Serie von den so treffsicheren Alltagsbeschreibungen mit spannenden, den meisten Lesern sicher kaum noch erinnerlichen Details und diesem großartigen Zeit- und Lokalkolorit.
Fazit: nicht nur die riesige Schar der Martin-Schlosser-Fans dieser Chronik wird ihre helle Freude an den speziellen Memoiren dieses souveränen erzählenden Autors haben.

# Gerhard Henschel: Schauerroman; 587 Seiten; Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg; € 26

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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