MAAZA MENGISTE: „DER SCHATTENKÖNIG“


Der zweite Abessinienkrieg von 1935 bis 1941, mit dem Diktator Mussolini ein neues Römisches Reich aufzubauen gedachte, ist vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs weitgehend in Vergessenheit geraten. Noch schlimmer aber: trotz der bestialischen Kriegsführung wurde nach Kriegsende keiner der vielen italienischen Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen.
Aus diesem Ringen hat nun die aus Äthiopien stammende Autorin Maaza Mengiste unter dem Titel „Der Schattenkönig“ einen großen Roman geschaffen. Rassismus, Völkermord und der massive Einsatz von Giftgas werden darin zwar mit Kampfszenen thematisiert, dennoch ist dies kein reiner Kriegsroman. Als Klammer dienen am Anfang und Ende die letzten Stunden vor dem Militärputsch von 1974, bei dem Kaiser Haile Selassie umgebracht wurde.
Danach springt das Geschehen an den Anfang jenes brutalen Überfalls auf das damals noch Abessinien genannte Land. Hier arbeitet die verwaiste Hirut im Haushalt von General Kidane und seiner Frau Aster. Der Offizier des Kaisers hatte sie aufgenommen, weil er ihre Eltern gekannt hatte. Eher sklavenähnlich wird sie gehalten, zumal die junge Aster nach dem Verlust ihres Kindes deprimiert aber auch eifersüchtig ist.
Dann jedoch marschieren die Italiener mit riesiger, modern ausgerüsteter Streitmacht ein und Kidane zieht gegen sie ins Feld. Es wird ein barbarisches Ringen, zumal die Aggressoren nicht nur mit Giftgasbomben und gezielten Massakern gegen die Einheimischen vorgehen. Gefangene werden nicht gemacht und als übelste Truppen muslimische Askari auf die christlichen Verteidiger losgelassen. Und dennoch - deren Widerstand ist heldenhaft und immer wieder erstaunlich erfolgreich.
Und damit geht der Fokus auf eine kaum gewürdigte Armee heftigster Unterstützer: Frauen als Soldaten. Aster ist die erste, die ganze Gruppen gegen die Italiener anführt und sich einen geradezu mythischen Ruf erwirbt. Diese Frauen unterstützen die eigenen Krieger und greifen auch selbst zu den Waffen.
Zur wahren Heldin des ebenso packend wie bildhaft geschilderten Ringens aber wird schließlich Hirut. In der Mitte des Romans ist sie es, die den Schattenkönig „erfindet“. Als sie den Musiker Minim erspäht, dessen Name übrigens „Nichts“ bedeutet, hat sie eine Vision, denn dieser schmächtige Mann gleicht dem ins Exil entflohenen Kaiser Haile Selassie wie ein Double.
Sofort verwandeln sie ihn mit einer Fantasieuniform zu dessen Ebenbild und setzen ihn auf ein Pferd. Hoch zu Ross soll er den abessinischen Kriegern auf den Feldzügen Mut und Angriffswillen einflößen. Und Hirut beschützt ihn als Leibwächterin. Der echte Kaiser beklagt derweil im bequemen Exil im englischen Kurort Bath den Verlust seiner Herrschaft und tröstet sich mit dem Abhören von Arien aus seiner Lieblingsoper „Aida“.
Es kommt zu heftigen Kämpfen, bei denen Hirut und Aster ausgerechnet Colonel Fucelli in die Hände fallen, der als „der Schlächter von Benghazi“ berüchtigt war. Folter und Vergewaltigungen durchleiden die Frauen wie Zehntausende andere auch. Und immer wieder muss Ettore Navarra die Gräueltaten fotografieren, seien es entwürdigte Frauen, seien es Massenmorde an Gefangenen. Er leidet entsetzlich, wagt jedoch keinen Einwand, weil er als Jude um das Wohl seiner Eltern in Venedig bangt.
Und wobwohl sich die Autorin allzu expliziter Vorgänge enthält, sind manche Passagen des intensiv ausgebreiteten Geschehen nur schwer zu ertragen, denn dieses Bilder gehen tief unter die Haut. Sämtliche Charaktere überzeugen und Alles ist so komplex aber auch eindringlich beschrieben, dass man diesen Roman bis zur letzten Zeile nicht aus der Hand legen mag. Fazit: ein düster strahlendes Stück außergewöhnlicher Literatur.

# Maaza Mengiste: Der Schattenkönig (aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit und Patricia Klobusiczky); 575 Seiten; dtv Verlag, München; € 25

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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