NEAL SHUSTERMAN: „GAME CHANGER“


Ash ist 17 und er weiß um Veränderungen, die niemand sonst auf der Erde je mitbekommen wird. Das erzählt er selbst, nachdem er eine Fülle von „weltverkrümmenden Ereignissen“ durchlebt hat.
Das erfährt zum Einstieg von Neal Shustermans neuem Jugendroman „Game Changer“. Zu dem vorweg vermerkt sei, dass der Erfolgsautor diesmal weder in eine mörderische Zukunft wie in den „Vollendet“-Thrillern einsteigt noch in eine düstere Dystopie wie bei der „Scythe“-Reihe. Dafür hat er den ahnungsvollen Untertitel „Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen“.
Ash ist ein ganz normaler Schüler einer amerikanischen Highschool und das Geschehen wirkt anfangs sogar ziemlich banal. Bis zur ersten Erschütterung im Wortsinne, als der auch im Sportlichen eher durchschnittliche Ash beim American Football einen typischen, wenngleich gitterhelmgeschützten Zusammenprall mit einem Gegenspieler hat. Und dabei für den Bruchteil einer Sekunde einen seltsamen Eishauch im Gehirn empfindet.
Was er anfangs nicht ahnt – er hat damit einen Sprung in ein Paralleluniversum gemacht. Dass ihm erst bei einem der nächsten – jeweils durch Erschütterungen ausgelösten – Sprüngen auf diese verwirrende Erkenntnis stößt, muss nicht verwundern. Er wird eben nicht in eine andere Zeit oder gar in eine ganz andere Welt geschleudert. Die Unterschiede sind vielmehr teils minimaler aber bedeutsamer Art, ohne dass er seine Familie, die Schule oder die Stadt hinter sich lässt.
Doch schon kleinere Verschiebungen von Nuancen bewirken eine sehr verschiedene Lebenswelt. Wenn er zum Beispiel plötzlich wohlhabende Eltern und ein harmonisches Verhältnis zum kleinen Bruder hat, aber auch Drogen dealt. Manches bemerkt er nicht mal sofort, obwohl es so gravierend ist wie die völlig überraschende Paralleldimension, in der erst nach und nach begreift, dass er schwul ist.
Nicht immer sind es solche krassen Abweichungen und sie können andererseits auch eine gänzlich in alte Muster verfallende Struktur bewirken, wenn da plötzlich die vor Jahrzehnten abgeschaffte Rassentrennung wieder gitl und seinen besten Freund aus dem bisherigen Gefüge wirft. Und allmählich kommt Ash auf die Spur der Edwards, Zwillinge, die sich als Mitwisser des Phänomens entpuppen.
Durch sie erfährt Ash die unfassbare Wahrheit: er gehöre zu den seltenen Menschen, die als „Subjective Locus“ das Zentrum eines Multiversums seien und alternative Versionen der Realität erschaffen können. Glücklich wird Ash damit aber kein bisschen, denn so viele neue Sichtweisen er damit auch erwerben mag, bei keiner der Sprünge hat den Eindruck einer Verbesserung der geltenden Wirklichkeit gemacht.
Eher im Gegenteil, so unvollkommen seine ursprüngliche Wirklichkeit auch gewesen sein mag. Dem Leser wird übrigens jeder Sprung durch eine veränderte Schrift angedeutet und Ash erzählt das Alles so präzise und dicht, dass man als Leser ganz nah dabei ist.
Das hat nicht die Hochspannungselemente wie die gewohnten Thriller des Autors. „Game Changer“ ist ungleich diesseitiger und geradezu philosophisch in seiner Grundhaltung. Fazit: ein komplexer, anspruchsvoller Roman, der seine subtile Spannung aus dem Wechselspiel von Wirklichkeit und Paralleluniversen zieht und dabei höchst aktuelle Themen anspricht.

# Neal Shusterman: Game Changer. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen (aus dem Amerikanischen von Andreas Helweg, Pauline Kurbasik und Kristian Lutze); 399 Seiten; Fischer Sauerländer, Frankfurt; € 18

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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