J. COURTNEY SULLIVAN: „FREMDE FREUNDIN“


Elisabeth ist 38 und vor einigen Monaten hat sie den kleinen Gil geboren. Sie lebt inzwischen mit Ehemann Andrew nach der langen Zeit in New York City in einem gemütlichen großen Haus mit Garten in einer außerhalb gelegenen Kleinstadt.
Andrew arbeitet intensiv an seinen Erfindungen und wirtschaftlich geht es ihnen gut, obwohl sich Elisabeth von ihrem unangenehmen reichen Vater quasi losgesagt hat. Ihre hiesigen Kontakte zu den anderen Frauen der gehobenen Siedlung sind eher belanglos und können die gelernte Journalistin kaum befriedigen. Doch ohnehin hat sie für derlei Smalltalk-Gewese weder Zeit noch Sinn, denn als erfolgreiche Sachbuchautorin steht das nächste Buch vertragsgemäß an.
Um dafür aber überhaupt den nötigen Freiraum zu finden, braucht sie eine Kinderfrau. So kommt die 20-jährige Sam in die Familie, eine Kunststudentin aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Und mit ihr nimmt denn auch „Fremde Freundin“ allmählich Fahrt auf, der neue Roman von Erfolgsautorin J. Courtney Sullivan.
Mal aus Elisabeths, mal aus Sams Perspektive erzählt, entwickelt sich trotz des Altersunterschieds und obwohl wirtschaftlich und weltanschaulich Welten zwischen ihnen liegen bald eine erstaunliche Frauenfreundschaft zwischen ihnen. Doch es ist eine Arbeitsfreundschaft und wenn Elisabeth auch immer wieder mit gewissermaßen schwesterlich gemeinten Ratschlägen versucht, Sam bei teils bedeutsamen Entscheidungen zu beeinflussen, es bleibt ein Abhängigkeitsverhältnis. Da kommt es zu regelrechten Intrigen und auch Grenzüberschreitungen, egal wie gut gemeint Elisabeths Absichten sein mögen.
Das führt zu spannenden und zuweilen recht gnadenlosen Dialogen, die aber immer wieder auch erfrischend komische Elemente bekommen. Die Autorin ist dabei eine präzise Beobachterin all der kleinen und auch großen psychologischen und gesellschaftlichen Feinheiten in diesem zwischenmenschlichen Gefüge. Hier fesseln aber nicht nur die beiden so herzhaft verschiedenen Hauptfiguren, auch die weiteren Protagonisten sorgen für einen Kosmos voller interessanter lebensnaher Prägungen.
Das mag in erster Linie ein Roman eher für Frauen sein, gleichwohl überzeugt er auch als gesellschaftliches Panorama aus der Zeit, die in die Ära Trump führte. Fazit: ein überwiegend unaufgeregter aber nie langweiliger Roman für anspruchsvolle Genießer.

# J.Courtney Sullivan: Fremde Freundin (aus dem Amerikanischen von Andrea O'Brien und Jan Schönherr); 523 Seiten; Paul Zsolnay Verlag, Wien; € 24

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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