EDGAR RAI: ASCONA
Als Hitler am 30. Januar 1933 die Macht ergriff, gab es längst Listen derjenigen
Künstler und Intellektuellen, die Hassobjekte der Nazis waren und Schlimmes zu
befürchten hatten. Erich Maria Remarque mit seinem pazifistischen Weltbestseller Im
Westen nichts Neues stand darauf ganz oben.
Es ist seine junge Geliebte Ruth, die dem Zögerlichen die sich bereits in den Straßen
Berlins zusammenrottenden SA-Rüpel zeigt. Und er gibt ihrem Drängen nach, flieht noch in
derselben Nacht. Wobei er ein wahrhaft Privilegierter ist, denn bereits 1931 hatte er im
Städtchen Ascona am Lago Maggiore eine Villa erworben. Aber auch seinen Hauptwohnsitz
dorthin verlegt, so dass es keine Schwierigkeiten an der Schweizer Grenze gab.
Das idyllische Städtchen wird nicht nur durch Remarque zu einem Refugium für zahlreiche
Emigranten, aber gerade auch durch seine großzügige Unterstützung etlicher, die im
Gegensatz zu ihm keine Mittel außerhalb Deutschlands hatten. Nun hat Edgar Rai dieser
Zeit ein Denkmal gesetzt mit einem Roman unter dem Titel Ascona. Der besonders
dadurch besticht, dass der Autor sich ganz stark auf die Tagebucheinträge Remarques
stützt.
Die Idee zu diesem Tatsachenroman hatte sich ihm geradezu aufgedrängt bei den Recherchen
zu dem Vorgänger Im Licht der Zeit. Der drehte sich um die aufregende Zeit,
als der legendäre Film Der blaue Engel entstand. Der ja auch Marlene
Dietrichs Weltkarriere anstieß. Von ihr aber ist überliefert, dass sie ein
außergewöhnliches Verhältnis mit dem Literaten verband.
Zunächst jedoch führt das Geschehen entlang der historischen Ereignisse in die Villa, in
der der 34-jährige Bestsellerautor nicht nur mit den immer erschreckenderen politischen
Entwicklungen hadert, sondern auch mit seinen ganz persönlichen Dämonen
Depressionen und Alkohol. Der nächste Roman ist abgeschlossen, doch das Weltgeschehen hat
Pat quasi überrollt. Doch eine Schreibblockade lähmt die Umformung in das,
was erst später als Drei Kameraden veröffentlicht werden wird.
Um so fesselnder offenbart sich der Alltag mit immer neuen Emigranten, aber auch einem
widerwärtigen Abgesandten Görings, der Remarque zur Heimkehr veranlassen will. Dem steht
die beklemmende Szene entgegen, als Der Autor mit Freunden an jenem makabren 10. Mai 1933
im Radio die Reportage über die Bücherverbrennung verfolgt er selbst gleich an
siebter Stelle.
Der sehr private Remarque aber, der große Zweifler, der seine Künstlereinsamkeit auf
geradezu masochistische Weise liebt, bekommt ebenfalls viel Raum. Zumal er den
Depressionen auch mit viel Sex begegnet. So mit Ex-Frau Jutta, als diese ebenfalls vor den
Nazis flüchten muss. Zumindest ihre sexuelle Anziehungskraft hat nicht unter der
Scheidung gelitten.
1936 schließlich kommt es in Venedig zur Begegnung mit der längst zum Hollywood-Star
aufgestiegenen Dietrich. Ebenso elegant wie sinnlich malt Edgar Rai hier nun die bekannten
Tatsachen aus. Sofort und gänzlich hemmungslos lodert das Feuer zwischen der
Unersättlichen und dem sensiblen Frauenfreund. Doch es vibriert nicht nur, denn während
Remarques lechzende Liebesbriefe den Star betören, ist diese kühl-leidenschaftliche Frau
allergisch gegen Besitzansprüche.
Eine Seelenverwandtschaft über die Liebe hinaus aber verbindet die beiden Künstler
und scheint belegt zu sein. Remarques Leiden wird jedoch unstillbar und seine
Liebesbriefe berühren noch heute: Wir hatten zu viel Vergangenheit und überhaupt
keine Zukunft. Immerhin aber stellt Marlene Dietrich entscheidende Weichen für
Remarques weiteres Leben, denn sie ist es, die ihn im Sommer 1939 kurz vorm Kriegsausbruch
zur fluchtartigen Emigration in die USA zu drängen vermag.
Ascona fesselt sowohl durch die sehr persönliche und zuweilen laszive Art der
Sprache wie auch durch die Einbettung in die hervorragend recherchierten politischen
Vorgänge. Fazit: höchst authentisch und gerade deshalb ein großartiges Stück
Spannungsliteratur.
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