JONATHAN STROUD: „SCARLETT & BROWNE. DIE OUTLAWS“


Mit der Bartimäus-Reihe und den Lockwood-Büchern legte Jonathan Stroud weltweit erfolgreiche Jugendromane vor. Nun präsentiert er seine jüngstes Werk und es sei vorweg gesagt: ein wahrhaft außergewöhnliches.
„Scarlett & Browne, Die Outlaws“ lautet der Titel und er eröffnet gleich einen herben Blick auf die rothaarige 17-Jährige, die sich soeben mit tödlicher Präzision gegen vier Räuber gewehrt hat. Dabei ist sie selbst eine Gesetzlose mit einem ellenlangen Sündenregister, allen voran Banküberfälle. Wie sie gerade jetzt wieder einen plant, diesmal in der Stadt Cheltenham.
Womit auch das einzigartige Ambiente des Romans zu erklären wäre: Scarlett lebt in einem postapokalyptischen England, das Generationen nach „der Großen Verheerung“ zivilisatorisch etwa auf dem Niveau eines Wilden Westens mit Elektrizität zurückgefallen ist. Die nicht sehr vielen Menschen leben in den 20 Befestigten Städten in sieben Königreichen. Der Großraum London ist nur noch eine gefährliche Lagune, aus der einige Oberteile von einstigen Wolkenkratzern herausragen.
Das archaische Leben macht Scarletts Leben nicht nur wegen Verfolgern aus den Städten und von der kriminellen „Bruderschaft der Hand“ gefährlich. Über allem herrscht der Hohe Rat der Glaubenshäuser mit einem haarsträubenden Regiment. Alle Religionen werden toleriert, jegliche Abweichungen von der Normalität und sei es nur ein sichtbares Muttermal oder fehlende Gliedmaßen werden rigoros ausgemerzt.
Anpassung ist also angesagt und des nachts bleibt man innerhalb der Stadtmauern, denn draußen lauern nicht nur Horden von lebensgefährlichen Tieren sondern auch die „Gezeichneten“, zombieähnlich degenerierte Nachkommen der Apokalypse. All das weiß die kampferprobte Scarlett, die trotz ihres räuberischen Treibens eine Art Moralkodex einhält einschließlich Fluchkasse und stets mitgeführtem Gebetsteppich.
Als sie nun aus Cheltenham in die Wälder flüchtet, wird sie verfolgt. Auf der Flucht stößt sie an einer Straße auf einen abgestürzten Bus. Überall sind Spuren der von den Wildtieren gefressenen Insassen, dennoch findet sie einen Überlebenden, den etwa 15-jährigen dürren Schlaks namens Albert Browne. Im Moment des Unfalls steckte er in der Bustoilette, eingeklemmt aber unerreichbar für die Tiere.
Albert erweist sich als erstaunlich weltfremd und nur bruchstückweise bekommt Scarlett heraus, dass er in Stonemoor gefangen war. Offenbar eine Art geschlossene Psycho-Anstalt mit fiesen Experimenten. Und spätestens, als Albert in der nächsten Stadt ihre Idee als sehr unerfreulich bezeichnet, ihn an Sklavenhändler verkaufen zu wollen, versteht sie, dass die Gabe des Gedankenlesens offenbar die Besonderheit war, die in nach Stonemoor zu der schlimmen Frau Dr. Calloway gebracht hatte.
Nun aber verhilft er Scarlett mit seinem Gedankenlauschen zum Erfolg beim nächsten Bankeinbruch. Zugleich muss die clevere Überlebenskünstlerin lernen, dass die verbissen Verfolger, die die Beiden nun jagen, wegen Albert und nicht wegen ihr so hartnäckig an ihnen hängen. Doch der so überaus höfliche und unpraktische Junge bietet nicht nur seiner Begleiterin immer neue Überraschungenm denn wenn ihn „die Schlimme Angst“ überkommt, wird es tödlich.
Das Zusammenwachsen dieses unmöglichen Gespanns ist ebenso spannend wie amüsant und schließlich begleitet die Kriminelle mit dem Herz am rechten Fleck Albert sogar auf der gefahrvollen Reise zu den geheimnisumwobenen „Freien Inseln“ in der Lagune von London. Dort hofft er auf ein unbehelligtes Leben in Toleranz.
Dieser Roadtrip zu Wasser aber wird ein Höllenritt der besonderen Art, bei dem sie sich nicht nur der von Dr. Callowayx angeführten Agenten der Glaubenshäuser erwehren müssen. Sie kommen durch eine monströse postapokalyptische Wildnis mit wahren Horrorbegegnungen. Und ihr Weg führt sie geradewegs in ein irres Finale, ebenso absolut packend und filmreif wie all die atemberaubenden Ereignisse bis dorthin.
Dieser Roman ist Abenteuer pur und kommt dabei ganz ohne Techno-Schnickschnack oder Fantasy-Kram aus. Und wie von Jonathan Stroud gewohnt, ist das Alles sehr bildhaft und mit viel Ironie und knorrigem Humor geschrieben. Fazit: ein grandioses Stück Spannungsliteratur, wegen allerlei Härten allerdings erst ab 15 Jahren zu empfehlen. Und noch eine gute Nachricht – weitere Abenteuer mit diesem schrägen Duo sind in Arbeit!

# Jonathan Stroud: Scarlett & Browne. Die Outlaws (aus dem Englischen von Katharina Orgaß und Gerald Jung); 426 Seiten; cbj Verlag, München; € 22

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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