BÉNÉDICTE BELPOIS: „HINGABE“


Tomas Lopez Gabarre ist ein eher ungeselliger galizischer Bauer, der zum Aufbrausen neigt. Als der bullige Klotz nun jedoch vom Arzt die Diagnose Lungenkrebs hört, macht es ihn ziemlich sprachlos.
Mit dieser niederschmetternden Diagnose beginnt „Hingabe“, der Debütroman der französischen Hebamme Bénédicte Belpois. Natürlich hadert Tomas mit dem Schicksal, zumal er vor einigen Jahren seine Frau durch Krebs verloren hat: „Gott? Dieser Mistkerl ließ mich im Regen stehen.“ Allerdings war diese Ehe ohnehin alles andere als glücklich gewesen, zumal sich das Raubein von jeher mit Frauen schwertat.
Um so heftiger rührt ihn der Blitz, als er in seiner Stammkneipe erstmals Suiza sieht. So hat man die wortlose junge Frau mit den rotblonden Haaren genannt, weil man vermutete, dass sie aus der Schweiz kommt. Sie spricht jedoch die hiesige Sprache nicht und wegen ihres stummen, willigen Verhaltens hält man sie für einfältig.
Auf Ich-Erzähler Tomas aber übt sie eine nie gekannte erotische Wirkung aus und beim nächsten Besuch in der Kneipe nimmt er sie einfach mit. Mit eiserner Hand zerrt er sie hinaus und vergewaltigt sie wie selbstverständlich auf dem nächsten Feld. Doch – sie schreit nicht und sie wehrt sich auch nicht, lässt Tomas einfach gewähren.
Und sie folgt ihm anstandslos, als er sie danach einfach mit zu sich nach Hause nimmt. Auch wenn er dann außer Haus arbeitet, macht sie keinerlei Anstalten zu flüchten, bringt stattdessen Ordnung und Sauberkeit in den verlotterten Haushalt zurück. Zugleich reicht schon ein Blick von ihr und er ist wieder aufs Höchste erregt. Immer wieder nimmt er sie in Besitz und kann einfach nicht genug von ihr bekommen.
Unmerklich unterliegt er allmählich rettungslos ihrem naiven Zauber. Immer vielgestaltiger wird der erotische Reigen miteinander und Tomas entdeckt sogar die Annehmlichkeiten von Zärtlichkeiten und Gefühlen an sich. Um zwischendurch in Phasen des Haderns zu geraten, wenn er mal wieder zur Chemotherapie oder gar zu erfreulichen Gesprächen mit dem Onkologen muss.
Über Suiza dagegen erführt der Leser nur durch wenige eingeschobene Erinnerungen, die sie selbst auf naive Weise erzählt, ein wenig mehr als Tomas. Offenbar ist sie spontan aus einem Heim entflohen. Ohne Liebe aufgewachsen und ungefestigt, will sie einfach nur ans Meer. Auf dem langen Weg dorthin bezahlt sie für die Freundlichkeiten der Trucker, die sie als Anhalterin mitnehmen, mit dem Einzigen, das sie zu bieten hat: mit ihrer stillen Willfährigkeit.
Im Miteinander mit dem bis dato so animalischen Tomas aber fasziniert nun immer mehr dieser Wandel der Beziehung. Aus dem anfangs rücksichtslosen Sex wird eine regelrechte Obsession, sie erkunden neue erotische Freuden miteinander und es entwickelt sich eine fesselnde Verwandlung hin zu echter Zuneigung. In der Suiza Tomas eines Tages mit holprig erlernten Worten zu verstehen gibt, was sie am meisten bewegt: sie möchte gehalten werden, jemandem angehören.
So deftig und lebensnah die Sprache dieses außergewöhnlichen Romans auch sein mag und so explizit er auch die erotischen Szenen beschriebt, er wird nie pornografisch. In Zeiten von Me:Too-Debatten aber würde er gewiss als Macho-Geschichte in der Luft zerrissen werden, hätte ein Mann ihn verfasst. Hier aber hat eine Frau diese Denk- und Handelsweisen eines im katholisch-dörflichen Umfeld der galizischen Provinz festgehalten und – es ist ihr unglaublich authentisch gelungen.
Kein Wunder, dass dieses rohe Juwel von einem Buch in Frankreich sofort ein Sensationserfolg geworden ist. Man erwarte allerdings kein Happyend von diesem außergewöhnlichen Debütroman, es hätte ihm vermutlich nicht mal gut gestanden.

# Bénédicte Belpois: Hingabe (aus dem Französischen von Eva Scharenberg); 271 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 22

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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