SALMAN RUSHDIE: SPRACHEN DER
WAHRHEIT
Salman Rushdie zählt seit Jahrzehnten zu den erfolgreichsten und wirkmächtigsten
Schriftstellern der Welt.
Der Strauß an ebenso vielfältigen wie großartigen Romanen könnte kaum bunter sein.
Doch der jetzt 74-Jährige beherrscht auch die kleine Form, wie er mit seiner jüngsten
Publikation eindrucksvoll unter Beweis stellt.
Sprachen der Wahrheit. Texte 2003-2020 ist der Band mit über 40 Essays,
Vortragstexten und anderem mehr überschrieben. Offener und persönlicher als in seiner
doch recht verklausulierten Autobiografie Joseph Anton wird er hier, gibt
tiefe Einblicke in sein Denken, seine Überzeugungen und vieles, was ihn antreibt. Und
lässt das Alles mit einem köstlich neckischen sogenannten Proust-Fragebogen enden.
Wie ihn seine indische Herkunft durch Hinduismus und Buddhismus geprägt haben ohne
dass er gläubig wäre und ganz offensichtlich für seine geschichtenreiche
Fabulierkunst prägend waren. Dazu schildert er vieles aus seinen jungen Jahren, wie ihm
die Lektüre anderer Autoren neue Wege und neue Denkweisen eröffneten. Da sind Namen wie
Calvino, Kafka und Günter Grass wichtig, dessen Blechtrommel er zunächst
abbrach. Beim zweiten Lesen aber wurde sie zu einem seiner Lieblingsromane.
Er nennt Harold Pinter, für den er den Nachruf verfasste. Oder er erzählt von seinen
Begegnungen mit Philip Roth, über dessen offene Sexszenen er zunächst schockiert war,
zumal er ja im prüden Indien aufwuchs. Und er gibt mit einem spürbaren Augenzwinkern
eine Kostprobe dessen, was er bei Roth gelernt hat.
Mit unverhohlenem Sendungsbewusstsein bekennt sich Rushdie zu Meinungs- und Pressefreiheit
und gerade er ist hier nach der von Ayatollah Khomeini 1989 gegen ihn verhängten Ratwa
wegen seiner Satanischen Verse der glaubwürdigste Kämpfer. Man erfährt, was
es mit jemandem macht, der mit diesem aus monotheistisch engstirnigem Fanatismus
verkündeten Todesurteil unter Personenschutz und falschen Namen über Jahre in ständiger
Gefahr leben musste.
Als Weltbürger und Weltautor nimmt er seine Verantwortung ernst und schlägt zugleich
faszinierende intellektuelle und literarische Bögen von Heraklit bis Tolkien, bewundert
Garcia Marques und Beckett. Seine Literatur- und Gesellschaftskritiken sind brillant und
zugleich nie zu abgehoben, um nicht ein Lesegenuss zu sein.
Und dann schließt er dieses Selbstporträt, in dem er so vieles von sich preisgibt, mit
einem lakonischen Bericht über seine eigene Covid-19-Erkrankung ab. 17 Tage lang hat er
gelitten und elegenater kann man eine solche prägenden Zeit kaum beschreiben. Fazit: ein
wunderbarer Leckerbissen für jeden Freund geistreicher und geschliffener Literatur. Wozu
im Übrigen die hervorragende Übertragung ins Deutsche das Ihre beiträgt.
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