CATHERINE BAILEY: „BIS WIR UNS WIEDERSEHEN“

 
Nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 ließ es der Davongekommene nicht bei einer extrem brutalen Verfolgung der Verschwörer. Mit unbändigem Hass befahl er außerdem eine Ausdehnung seiner Rachsucht auch auf deren Familien.
Ein ebenso spektakuläres wie perfides Beispiel dafür, war das Schicksal von Ulrich von Hassell und seiner Tochter Fey. Der vornehme Landadelige war von 1932 bis 1938 deutscher Botschafter in Rom und wurde schon da – zu Recht – als scharfer Kritiker und Verächter des NS-Regimes verdächtigt. Unter seinesgleichen galt er dagegen als „deutsche Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle.“
Als Mitverschwörer im September 1944 verurteilt und wie etliche andere aus diesem Kreis auf viehische Weise – auf Hitlers ausdrücklichen Wunsch! - gehenkt, erfolgte im Anschluss die Verfolgung der Angehörigen. Fey von Hassell, mit dem italienischen Offizier und Adeligen Detalmo Pirzio-Birdi verheiratet, wurde auf ihrem Landsitz im oberitalienischen Brazza von der Gestapo verhaftet und mitsamt ihren beiden kleinen Söhnen nach Innsbruck gebracht.
Am 29. September 1944 entführte die Gestapo die beiden Jungen und verschleppte sie in das zum Waisenhaus umfunktionierte Hotel „Wiesenhof“ bei Hall in den Tiroler Bergen. Wie Fey von Hassell durch verschiedene KZ im gesamten Reichsgebiet geschleift wurde und nach dem Krieg nur unter Mühen und mit viel Glück Corrado (1940 geboren) und Roberto (1942) wiederfand, hatte sie selbst erst Jahrzehnte später in aufsehenerregenden Memoiren erzählt.
Die britische Bestsellerautorin Catherine Bailey machte diese wahre, aber sehr subjektiv und aus der Erinnerung erzählte Geschichte zum Kern eines wahren Politthrillers, der auf intensiv recherchierten Details beruht. Weder der Titel „Bis wir uns wiedersehen“ noch der Untertitel „Eine Mutter, ihre geraubten Kindern und der Plan, Hitler umzubringen“ sind dabei dem Ernst des Inhalt und den Qualitäten dieses Buches angemessen.
Geschildert wird weit mehr als der exemplarische Entführungsfall und die Vorgeschichte der Diplomatentochter und ihrer hoch angesehenen Familie. Detailliert wird die verworrene Situation insbesondere im österreichischen Teil des Deutschen Reichs beschrieben, wo es wie überall drunter und drüber zugeht und die Alliierten unaufhaltsam vorrücken.
Es sind insbesondere die SS-Truppen, die ein mörderisches Regiment führen. Unter ihnen tobt eine besondere Sondereinheit, die für brachiale Säuberungsaktionen brüchtigt ist. In ihr Gewahrsam gerät Anfang 1945 eine Gruppe sogenannter Sondergefangener, hochkarätige und teils international bekannte Bürger von Bedeutung wie der ehemalige französische Ministerpräsident Blum zbd Österreichs letzter Bundeskanzler Schuschnigg.
Fast 140 sind es und sie sind, ohne es zu ahnen, eine Verfügungsmasse für Heinrich Himmler, den Reichsführer SS und zweitmächtigsten Mann im NS-Regime. Heimlich und gegen den ausdrücklichen Willen Hitlers hat er diplomatische Fäden geknüpft, um einen Separatfrieden mit den westlichen Alliierten auszuhandeln. Die Sondergefangenen sollen dabei als Druckmittel fungieren. Zugleich hatte Himmler die SS-Truppe angewiesen, die Gefangenen auf Befehl sofort zu liquidieren.
Derweil begannen die entsetzlichen Hungermärsche aus den KZs, um den vorrückenden Rotarmisten keine Beweise zu hinterlassen. Einerseits erschoss die SS dabei zahllose Häftlinge, andererseits bugsierte sie die Riege der Sippenhäftlingen per Eisenbahn von einem KZ zum anderen. Der elendigen Odyssee fielen etliche Angehöriger Verurteilter des 20. Juli 1944 durch die Entbehrungen und die Kälte zum Opfer.
Auch Fey von Hassell hatte vieles durchgemacht, als ihre Gruppe zu der der Sondergefangenen stieß und sie allesamt in die Dolomiten gebracht werden sollten. Im Chaos der letzten Kriegswochen mit ständigen Fliegerangriffen und vorrückenden Feindtruppen war die SS-Bewachertruppen höchst nervös. Und dann lehnten die Alliierten Himmlers Friedensfühler nicht nur ab – sie stachen die Absage am 28. April sogar den Medien durch!
Womit die Sondergefangenen „nutzlos“ geworden waren und samt den Sippenhäftlingen eliminiert werden sollten. Nur mit viel Glück misslang das perfide Vorhaben und alle wurde gerettet.
Für Fey von Hassel und drei andere Mütter aber setzte jetzt die verzweifelte Suche nach ihren Kindern ein, allesamt verschleppt und unter falschen Namen für Adoptionen durch verdiente Volksgenossen vorgesehen. Erst nach Monaten gelingt die glückliche Wiedervereinigung von Mutter und Kindern und auch sie gestaltet sich noch einmal außerordentlich spannend.
Wie das gesamte, sehr detailgenaue Buch bis zuletzt als Real-Thriller fesselt, zuweilen aber auch nur schwer zu ertragen ist, denn selten wurden Nazi-Gräuel so real und explizit beschrieben. Der Autorin ist es bei all dem hervorragend gelungen, die für sich allein schon packende Geschichte von Fey von Hassell und ihren Söhnen in den exzellent dargestellten historischen Kontext einzubetten. Fazit: ein Meisterwerk erzählender Geschichtsschreibung.

# Catherine Bailey: Bis wir uns wiedersehen. Eine Mutter, ihre geraubten Kinder und der Plan, Hitler umzubringen (aus dem Englischen von Martin Richter); 478 Seiten, div. SW-Abb.; wbg THEISS Verlag, Darmstadt; € 28

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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