CHRISTIAN GUAY-POLIQUIN: DAS
GEWICHT VON SCHNEE
Der junge Ich-Erzähler sieht hilflos zu, wie draußen der Schnee sich gnadenlos der
Landschaft bemächtigt. Mit gebrochenen, geschienten Beinen liegt er in der kargen Hütte
und muss froh sein über diese Zuflucht und den alten Matthias, der ihn widerwillig
versorgt.
Damit beginnt der in Roman Das Gewicht von Schnee des Franko-Kanadiers
Christian Guay-Poliquin, der in seiner Heimat bereits vielfach ausgezeichnet wurde. Der
Schnee beherrscht alles und er wächst täglich, wie der namenlose junge Mann vom Bett aus
mit dem Fernglas am Höhenmesser ablesen kann. Wer die Beiden sind und was sie hierher
verschlagen hat, schält sich erst allmählich heraus.
Der Ich-Erzähler wollte nach seinem Vater sehen, von dem er seit längerem nichts mehr
gehört hatte. Nach einem Unfall finden Dörfler unter dem Auto und die hiesige
Veterinärin als einzige medizinisch Bewanderte weit und breit in dem abgelegenen Dorf
versorgt seine schwer verletzten Beine. Dass die grundsätzlich fremdenfeindlichen
Dörfler ihgn nicht einfach seinem Schicksal überlassen haben, verdankt er einzig dem
Umstand, dass sein mittlerweile verstorbener Vater der örtliche Kfz-Mechaniker war.
Auch der knorrige alte Matthias ist hier wegen einer Panne gestrandet, als die angesichts
der Schneekatastrophe mit Stromausfall und Nahrungsknappheit heraufziehende
Endzeitstimmung noch nicht ganz so stark die Gemüter bedrückte und reizte. Mit ihm nache
sie einen Deal: er bekommt nicht nur Lebensmittel aus dem dem Dorf sondern auch einen
Platz im einzigen Bus, der nach dem Winter wieder in die ferne Stadt fährt.
Dort liegt Matthias' kranke Frau im Krankenhaus, von der er dem Bettlägerigen immer
wieder erzählt. Kommunkation nach außen aber gibt es keine, nur die interne zwischen
zwei Männern, die aneinander gekettet sind. Wortkarg kommen sie einander auf spröde
Weise näher, ohne Freunde zu werden. Und drau0ßen steigt der Schnee, der Hunger im Dorf
wächst und es breitet sich eine böse Grippe aus.
Die weiße Pracht ist von barbarischer Schönheit und zugleich gänzlich unbarmherzig.
Dazu passen die kargen Emotionen, die die unfreiwillige Schicksalsgemeinschaft nur
widerwillig zulässt. Dazu drückt die Hilflosigkeit in den gleichförmigen endlosen Tagen
und das ständige Eingesperrtsein in diesem eng umgrenzten Kosmos.
Wie in Stein gemeißelt passt dazu die ebenso schnörkellos präzise wie auch poetische
Sprache, die auch die hervorragend ins Deutsche übertragene Fassung auf fesselnde Weise
offenbart. Fazit: ein beeindruckender von der Natur beherrschter und zugleich zutiefst
menschlicher Roman.
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