NICHOLAS SHAKESPEARE:
BOOMERANG
Nicholas Shakespeare zählt zu den renommiertesten Literaten unserer Zeit und vor allem
seine Romane werden auch bei uns geschätzt. Nun hat sich der englische Erfolgsautor
erstmals an einen Thriller gewagt und es geht um nicht weniger als die Kernfusion.
Doch Boomerang ist kein Actionspektakel, vielmehr schreibt Shakespeare ganz in
der gehobenen literarischen Tradition von Graham Greene und John le Carré. So gönnt er
sich auch einen ausführlichen Vorlauf, in dem er seinen Antihelden John Dyer vorstellt
und mit ihm etliche weitere wichtige Protagonisten. Dyer war viele Jahre als
Auslandskorrespondent in Brasilien, nachdem jedoch seine zweite, recht junge Frau
durchgebrannt war, kehrte er mit Sohn Leandro heim nach Oxford.
Einerseits will er dem Elfjährigen die typische englische Erziehung an seiner vornehmen
alten Schule zukommen lassen. Andererseits widmet sich der Endf+nfziger einem lange
gehegten Buchprojekt über indigene Stämme im brasilianischen Regenwald. Über seinen
Sohn findet Dyer Kontakt zu dem bärigen iranischen Atomphysiker Rustam Marvar, dessen
Sohn Samir wie Leandro von Wassily, dem selbstherrlichen Zögling einer russischen
Oligarchenfamilie, gemobbt wird.
Das Geschehen entwickelt sich interessant aber ohne nennenswert Aufregendes zu erzählen.
Bis auf Seite 98 ist Geduld angesagt, dann aber bekommt Boomerang Spannung und
Tiefe, als sich Marvar in höchster Bedrängnis Dyer anvertraut. Nur durch Zufall hat er,
dessen Ehefrau und neugeborene Tochter vom Mullah-Regime quasi als Geisel in Teheran
gehalten werden, bei seinen Arbeiten am Clarendon Labor den absoluten Algorithmus
entdeckt.
Es geht um nicht weniger als die überraschend einfache Formel für die seit Jahrzehnten
erfolglos angestrebte Kernfusion. Die Idee des sich selbst erhaltenden Brennens mit einer
Energie wie die der Sonne sei unerreichbar gewesen. Bis 19.32 Uhr letzten Freitag,
eröffnet der ebenso euphorisierte wie verängstigte Marvar. Seine Furcht: mit einer
solchen ewigen und extrem preisgünstigen Energiequelle könnte diese neue Kraft ein Segen
für die Menschheit sein in den falschen Händen aber eine höllische Waffe.
Marvar muss jede Seite fürchten, zumal die Situation soeben durch die angedrohte (und
inzwischen bekanntlich erfolgte) Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran seitens der
USA zusätzlich aufgeheizt ist. Der Atomphysiker hat deshalb alles völlig geheim gehalten
und die wenigen Aufzeichnungen in einem Notizbuch versteckt. Und Marvar entzieht sich dem
Dilemma der Entscheidung, wem er das gefährlichste Geheimnis der Menschheitsgeschichte
anvertrauen soll. Er verschwindet.
Und er hinterlässt dieses Dilemma Dyer als Wahrer des teuflischen Schatzes. Womit er
ungewollt in den Fokus all derjenigen gerät, die nach Erkenntnissen über die
Entdeckung suchen. Sofort vereinnahmt ihn ein alter Schulkamerad, jetzt in hoher Position
beim britischen Geheimdienst. Doch da sind noch ganz andere Kräfte unterwegs und selbst
Wassilys kalt-attraktive Mutter zeigt plötzlich ganz andere Seiten.
Das Alles fesselt auf eher subtile Weise und hat bei aller Spannung eine geradezu
philosophische Tiefe. Gut und Böse finden hier quasi nicht statt wenngleich die
politischen Verantwortungsträger der USA aus triftigen Gründen besonders schlecht
wegkommen. Entsprechend ist denn auch die februargraue Szenerie dieses anspruchsvollen
Romans ganz und gar angemessen.
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