BRIAN A. CATLOS:
aL-ANDALUS
Als Spanien ab 711 von Moslems erobert und in weiten Teilen bis 1492 von ihnen beherrscht
wurde, sei es ein Hort von Toleranz zwischen Muslimen, Christen und Juden mit einer Blüte
von Kunst, Kultur und Architektur gewesen. Und es war die katholische
Reconquista, die diesen glorreichen Verhältnissen ein Ende bereitete.
Die meisten dieser Annahmen, die großenteils bis heute auch den Nationalmythos Spaniens
prägen, sind wissenschaftlich nur sehr bedingt richtig. Einer umfassenden und längst
überfälligen Richtigstellung der historischen Fakten widmete sich nun Brian A. Catlos,
Professor für Religionswissenschaften an der University of Colorado, Boulder, mit seinem
Sachbuch al-Andalus. Geschichte des islamischen Spanien.
Als Tariq ibn Ziyad im April 711 den Westgotenkönig Roderich schlug, hatte er freie Bahn,
um die iberische Halbinsel zu erobern und für die folgenden fast 800 Jahre erstreckte
sich das islamische Spanien zeitweise über gut 80 Prozent Iberiens. Wobei klarzustellen
ist, dass es weder zu dieser Zeit noch nach der Vertreibung der letzten islamischen
Herrscher ein Spüanien als Nation gab, sondern lediglich verschiedene und häufig
untereinander zerstrittene spanische Königreiche.
Entlang der vielfältigen kriegerischen Konflikte beschreibt der Autor die zahlreichen
Kämpfe innerhalb des Islams zwischen Arabern, Berbern und verschiedenen Clans. Die
Herrscher des islamischen Spaniens wechselten und das oft ebenso wenig friedlich wie die
katholischen Königreiche untereinander. Und es wird offenbar, dass es nicht die
Bipolarität zwischen islamischem und christlichem Block gab.
Vielmehr wurden immer wieder auch Kriegskoalitionen über die Religionsgrenzen hinweg
geschmiedet, so dass dann auch Muslime und Christen mit Muslimen gegen andere Muslime
fochten und Christen mit Muslimen gegen Gegner der eigenen Konfession. So fanden viele der
Auseinandersetzungen innerhalb der Kulturen statt. Was dann auch die tatsächlich stark
verbreitete Toleranz zwischen den Konfessionen auf kultureller Ebene unterbrach mit
Verfolgungen bis hin zu Pogromen.
Catlos räumt mit den idyllischen Bildern mittelalterlicher Toleranz gründlich auf:
Es wurde viel darüber geschrieben, ob al-Andalus eine Idylle aufgeklärter Toleranz
und conviviencia oder Schauplatz eines brutalen Kiampfes der Kulturen war. Es war weder
das eine noch das andere.
Gleichwohl war der kulturelle Transfer seitens der kosmopolitisch hochentwickelten
arabisch-muslimischen Seite hin zur unterentwickelten christlich-europäischen so
gewaltig, dass er einschließlich des gewichtigen jüdischen Einflusses hinsichtlich
intellektueller Befruchtung für eine Hochkultur sondergleichen sorgte. Wissenschaft,
Kunst, Architektur zeigten eine bis heute nachwirkende Blüte.
Höhepunkt war um das Jahr 1000 das Emirat von Cordoba im sogenannten Goldenen
Zeitalter von al-Andalus. Verkehrssprachen waren Arabisch, Latein und Hebräisch,
wogegen die konfessionellen Unterschiede keine wirklichen Gegensätze darstellten:
Die Christen, Muslime und Juden des Mittelmeerraums teilten eine im abrahamitischen
Monotheismus wurzelnde Kultur.
Bei allen kriegerischen Auseinandersetzungen gab es im Übrigen eine wesentliche Grundlage
für den großen kulturellen und wissenschaftlichen Reichtum dieser Jahrhunderte: die
islamischen Eroberer ließen nicht Unterwerfung sondern Integration walten. Im Gegensatz
zur Reconquista, die ihrem Sieg im Jahr 1492 die Vertreibung der Juden und die zwangsweise
Assimilierung aller nicht vertriebenen Nicht-Christen folgen ließ.
Fazit: die brillante Neudeutung einer einzigartigen historischen Epoche auf dem neuesten
Stand der Wissenschaft, die belegt, dass das islamische Spanien eine faszinierende
vielschichtige Koexistenz bot aber weder ein Paradies der Toleranz noch ein Schlachtfeld
der Kulturen war.
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