MA JIAN: „TRAUM VON CHINA“


Ma Jians Romane sind in seiner Heimat allesamt verboten und er lebt seit 20 Jahren im Exil. Von dort aus sendet er nun einen neuen hochpolitischen Giftpfeil in Form eines kleinen Romans gegen den totalitären Überwachungsstaat ab.
Schon der Titel ist ein Affront, denn „Traum von China“ formulierte der nahezu allmächtige Xi Jinping 2012 als Sinnbild der großen Wiedergeburt des Reichs der Mitte. Dazu gehörten Errungenschaften wie die Harmonisierung nach innen mit mehr Wohlstand wie auch noch mehr Kontrolle. Für die entsprechende massive Propaganda gibt es Ämter in allen Regionen.
In einem solchen in der Stadt Ziyang residiert der ebenso dicke wie ziemlich blöde Ma Daode und genießt als Direktor Privilegien, Geldgeschenke und die Liebesdienste karrieregeiler Frauen. Die Leistungen für die „Traum-von-China“-Agenda stehen allerdings in schwerem Missverhältnis zur Selbstherrlichkeit des Parteibonzen. Von den erwarteten Ideen und Kampagnen zur Verbreitung der Gedanken des großen Vorsitzenden ist bisher nur die Initiierung von Massengoldhochzeiten zu nennen.
Abstrus und wenig erfolgversprechend erscheinen dagegen die Pläne, jedem Chinesen einen „Traum-Von-China“-Chip einzupflanzen, der dan sämtliche individuellen Träume durch den staatlich erwünschten Kollektivtraum ersetzt. Ma Daode aber hat obendrein ein heikles Problem: sehr eigene Albträume, die genau das immer öfter beschwören, was das Riesenvolk der aufstrebenden Weltmacht nicht mehr haben soll: eine Vergangenheit.
Vor allem die katastrophale Ära der Kulturrevolution mit Millionen von Toten statt dem propagierten „Großen Sprung nach vorn“ treibt des Bonzen um. Er gehörte selbst zu den wilden Horden der Roten Garden, die im Namen Maos unter anderem ihre Lehrer auf übelste Weise demütigten. Und er lud schlimme ganz persönliche Schuld auf sich, als er seine Eltern verriet und damit sogar deren Selbstmord auslöste.
Nun soll er in dem Ort Yaobang, wo er damals dem fatalen Mitläufertum frönte, die Proteste gegen eine Industrieansiedlung beseitigen. Dafür will er nun sogar einen speziellen „Traum-von-China“-Trank brauen lassen, um den Bürgern ihr Gedächtnis an die Vergangenheit einfach wegzuschwemmen. Doch auch hierbei versagt er und geht unweigerlich seinem Untergang entgegen.
Der Autor hat hier das Paradebeispiel eines willfährigen Funktionärs der Parteidiktatur skizziert und führt mit ihm die ebenso tragische wie absurde Realität im Inneren der Großmacht vor. Fazit: keine leichte Lektüre und als Roman kein großer Wurf, dafür aber eine brillante scharfzüngige Satire.

# Ma Jian: Traum von China (aus dem Englischen von Susanne Höbel); 189 Seiten; Rowohlt Verlag, Hamburg; € 22

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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