REGINA PORTER: DIE
REISENDEN
Die vielfach ausgezeichnete US-Theaterautorin Regina Porter legt jetzt ihren Debütroman
Die Reisen vor. Was da unter dem Oberbegriff Familienroman läuft, ist jedoch
eher ein komplexes Wimmelbild mit vielen Erzählsträngen und Geschichten. Von denen
allerdings viele miteinander in Berührung kommen.
Eingangs wird dem Leser die weiße Familie Vincent aus Maine vorgestellt und quasi im
Schnelldurchgang die Vita von Familienvater James. Dessen Sohn Ruff stellt die Klammer zu
afroamerikanischen Familie Christie her, als er Claudia heiratet. Weit entfernt vom Vater
lebend lernt der James-Joyce-Forscher Ruff die Shakespeare-Expertin Claudia Christie
kennen.
Aus ihrer Ehe entspringen zwei Kinder, deren eines als kleines Mädchen beinahe durch die
Saumseligkeit des Großvaters umkommt. Was das gute Verhältnis untereinander
schwerwiegend untergräbt. Doch in dem Zeitbogen über Jahrzehnte springen die
Erlebnisebenen und Schauplätze ständig hin und her. So unter anderem zu Claudias Eltern
in Georgia und zu einer Schlüsselszene mitten im großen Puzzle des Romans.
Die Studentin Agnes Miller und der Ingenieur Claude kommen von einem Konzert. Es sind die
60er Jahre und das afroamerikanische Liebespaar erfüllt genau jene Idealvorstellungen,
die Martin Luther King sich für die baldige Zukunft erträumt. Doch dies ist Georgia
wo auch die ebenfalls afroamerikanische Autorin herstammt und es taucht eine
Polizeistreife auf und die weißen Rassisten darin zeigen dem Paar auf brutale Weise, was
sie von der Bürgerrechtsbewegung halten.
Die traumatisierte Agnes wendet sich ab und geht bald eine Art Vernunftsehe mit Eddie
Christie ein, findet Liebesglück aber nur noch bei Frauen. Was unter anderem ihre
gleichgepolte Jugendfreundin Eloise in einer besonderen Rolle ins Spiel bringt. Wie ihr
großes Idol, die (echte) Flugpionierin Bessie Coleman (1892-1926) wird sie Pilotin und
lebt die größeren Freiheiten als lesbische US-Soldatin im lockeren Berlin aus.
Die zeitlichen Sprünge sind mit immer neuen Protagonisten ebenfalls sehr vielfältig. Wie
auch die variierenden und teils sogar experimentellen Erzählweisen, die sich vereinzelt
bis hin zu Theaterszenen oder Briefwechseln reduzieren. Es entfaltet sich ein komplexes
Puzzle aus 21 Kapiteln und es empfiehlt sich zur besseren Übersicht das angehängte
Personentableau mit immerhin 34 Namen vor der Lektüre anzuschauen.
Regina Porter breitet dieses Flickenteppich mit einer spröden und zugleich souveränen
Prosa aus, ohne überlebensgroße Figuren oder außergewöhnliche Schicksale. Fazit: trotz
der zuweilen großzügig verwendeten derben Ausdrücke ein anspruchsvoller Roman, der eher
unaufgeregt dahinmäandert.
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