TIM BLANNING: FRIEDRICH DER GROßE“


Kein anderer deutscher Monarch war auch nur annähernd so erfolgreich wie Friedrich II. von Preußen (1712-1786), schon zu Lebzeiten als „der Große“ gehuldigt. Doch obwohl die Faktenlage zu seinem Leben und Wirken eigentlich hervorragend ist, blieb da stets und von jeglichen Historikern und Biografen weitestgehend verdruckst eine dunkle Seite ausgespart: die Homosexualität des Königs.
Obwohl schon die äußeren Zeichen wie die künstlerische Ausgestaltung von Schloss Sanssouci mit all den nackten Jünglingsskulpturen und Huldigungen von mythischen Männerpaaren einen deutlichen Fingerzeig gaben – der größte deutsche Held, der erfolgreiche Feldherr, der Erschaffer eines prosperierenden modernen Preußen konnte und durfte kein „Schwuler“ sein.
Bei den ihn besonders für sich vereinnahmenden Nazis wäre schon die pure Äußerung des Gedankens ein Sakrileg mit Folgen gewesen, man denke nur an den berüchtigten Paragraphen 175 und die zehntausende in den KZs malträtierten Träger des rosa Dreiecks. Um so verdienstvoller ist die Biographie von Tim Blanning zu nennen, der ohne Berührungsängste nicht nur die Fülle einschlägiger Erkenntnisse aus der reichen Faktenlage auf neuestem Forschungsstand darin hat einfließen lassen.
Der emeritierte Professor für Neuere europäische Geschichte an der Universität von Cambridge glänzt in seinem detailliertem Werk auch mit überzeugenden Analysen sämtlicher Lebensaspekte dieses überaus komplexen Herrschers. „Friedrich der Große. König von Preußen. Eine Biographie“ lautet der schlichte Ttiel und zur Einführung beschreibt der Autor die Geschichte Brandenburg-Preußens.
Schon bei den Ausführungen zu den Jahren bis zu Friedrichs Thronbesteigung werden all die Traumata offensichtlich, die die Persönlichkeit des Prinzregenten maßgeblich prägten. Von frühester Kindheit an von seinem Vater, dem legendären „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., brutal kujoniert und gedrillt, gingen diese Exzesse durch den despotischen König, der ebenso militaristisch wie bigott war, schließlich so weit, dass der Sohn wegen eines Fluchtversuchs barbarisch bestraft wurde und einer Hinrichtung nur durch eine Note des Kaisers entging.
Friedrich kroch offiziell zu Kreuze und entzog sich den dauerhaften Demütigungen durch die Eheschließung und das vermeintliche Eheleben auf Schloss Rheinsberg. Und gab ein geheimes Gelübde ab, die Gattin sofort nach dem Tod des Vaters loszuwerden. Wozu Tim Blanning trocken feststellt: „Friedrich lehnte seine Frau ab, weil sie nicht intellektuell, eine strenggläubige Christin und die Wahl seines Vaters war.“ Noch grundlegender aber sei ihr Geschlecht als Ablehnungsgrund gewesen.
So emanzipierte er sich gleich nach der Thronbesteigung durch die Verjagung der Gattin und der offen gezeigten Aversion gegen jegliche Frömmelei. Die schließlich zu jener in dieser Zeit einzigartigen Erklärung der völligen Glaubenstoleranz führte und – konsequentermaßen angesichts seines Intellektualismus als Skeptiker und Nichtgläubiger – darin gipfelte: „Man darf sogar seinen Unglauben bekennen.“
Zugleich aber setzte Friedrich an, den besessenen Soldatenkönig militärisch zu übertrumpfen, indem er als frischgebackener König den ersten von drei Schlesischen Kriegen vom Zaun brach und sich die österreichische Provinz Schlesien einverleibte. Doch der Biograf entlarvt Friedrich auch als Hasardeur, der bei seinen kriegerischen Abenteuern weniger durch seine Feldherrenkunst als durch Glück und Frechheit stets ein Scheitern vermeiden konnte.
Doch dieser König, der sich nach außen so asketisch und bescheiden gab, lebte zugleich ein überaus luxuriöses Leben. Hier nun decouvriert Blanning die berühmte Hofhaltung als homosozial und homoerotisch mit einem homosexuellen Autokraten, der sich bevorzugt mit Musik, Literatur und sonstigen schönen Künsten befasste und dabei einiges künstlerisches Talent zeigte.
Andererseits war Friedrich ein äußerst arbeitsamer und geradezu genialer Reformer seines eher ärmlichen Staates. Vorbildlich waren seine großen Strukturentwicklungen wie in der Landwirtschaft und der Landgewinnung sowie in Produktion und Handel. Bei all dem war er gleichfalls ein gewiefter Propagandist fürs eigene Image, sei es bei der Selbstinszenierung als „erster Diener im Staate“, sei es als Förderer von Kultur und Öffentlichkeit.
Historiker Blanning lässt keinen Aspekt in diesem so bewegten Leben einer ebenso herausragenden wie schillernden Herrscherpersönlichkeit unbeachtet. Friedrich hinterließ Preußen als eine der fünf europäischen Großmächte, er hatte einen deutschen Nationalismus wie auch einen volkstümlichen Militarismus geschaffen und sich erfolgreich als „Verteidiger des Protestantismus gegen den Papismus“ durchgesetzt. Abschließend geht der Autor auf den nach seinem Tod umgehend einsetzenden Friedrichs-Kult ein.
Fazit: das Opus Magnum Tim Blannings ist bei aller Wissenschaftlichkeit spannend wie ein Roman verfasst und nicht nur ein grandioses Standardwerk zum Thema sondern ganz gewiss die ultimative Biographie zu Friedrich dem Großen.

# Tim Blanning: Friedrich der Große. König von Preußen. Eine Biographie (aus dem Englischen von Andreas Nohl); 718 Seiten, div. SW-Abb.; C. H. Beck Verlag, München; € 34

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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