FRANZOBEL: RECHTSWALZER
Franzobels dritter Krimi mit Kommissar Groschen ist viel mehr als das, nämlich ein
Gesellschaftsroman der bitterbösen Sorte und wenn der Titel Rechtswalzer
heißt, dann nicht nur, weil er sein abstruses Finale beim legendären alljährlichen
Großereignis, dem Wiener Opernball, findet.
Eingangs freut sich der 38-jährige Malte Dingers an diesem sonnigen 6. September 2024,
dass er mit geliebter Ehefrau, prächtigem kleinen Sohn und gut gehender Gin-Bar samt
Getränkehandel ein Glückspilz sei. Hätte er nur nicht an der U-Bahnstation dieses
vermaledeite Handy gefunden oder es zumindest sogleich entsorgt.
Schon klingelt es und eine Stimme raunzt ihn an, dass es aus sei mit seinem Glück:
Ab heute wendet es sich gegen dich, entzieht dir das Universum seine Gunst. Du bist
raus, kapiert? Raus. Du hast ausgeschissen in der Welt! Und schon Minuten später
beginnt eine schier aberwitzige Abwärtsspirale, die mit einer Fahrscheinkontrolle in der
U-Bahn einsetzt und noch am selben Tag wegen diverser Delikte in die U-Haft führt. Was
gleichwohl erst der Auftakt von Malte Dingers Höllenfahrt ist.
Dazu tragen insbesondere die neuen Verhältnisse im Lande bei, denn der kollabierten
türkis-blauen Regierung (ÖVP/FPÖ sind gemeint!) ist die LIMES-Bewegung gefolgt, die die
bisherigen Konservativen ganz weit rechts überholt und wieder für strikte Ordnung sorgt.
Ein gesellschaftlicher Umbau ins Autoritäre mitsamt Einschränkungen von Grundrechten,
Presse und sonstigem liberalen Quatsch. Obwohl, liberal ist LIMES mit dem großen Meister
an der Spitze durchaus: lästige Vorschriften wie Geschwindigkeitsbegrenzungen,
Rauchverbot oder Helm- und Gurtpflicht werden aufgehoben. A bisserl Freiheit soll schon
noch bleiben...
Und Kommissar Groschen? Der bekommt es mit einem ganz skurrilen Mordfall zu tun, bei dem
mit Branko vom Balkan ein spezieller Macho und Frauentröster durch ein besonders hitziges
Klistier exekutiert wurde. Wodurch Groschen in dekadente Kreise in Nobelvororten Wiens
eintauchen muss und auf Machenschaften stößt, deren Tragweite er erst viel später
erahnt. Wenn dann auch noch die Beziehung des Ganzen zu Malte Dingers Schicksal
offenkundig wird.
Dessen Dasein zwischendurch immer wieder nach unten rauscht. Der Haftprüfungstermin geht
total schief, obwohl ihm Zellengenosse Persenbeugg, ehemals einflussreicher Lobbyist,
hilfreich zur Seite stand. Als der jedoch ermordet in der Zelle aufgefunden wird, ist
Maltes Unglück offenbar komplettiert: Lebenslänglich wegen Mord. Auf welch
abenteuerliche Weise er dennoch bald wieder in die Freiheit gelangt und wie sich das Alles
zu einem irrsinnigen Showdown beim Opernball steigert, sei hier nicht verraten.
Jedenfalls ist das nicht nur genial überdreht, diese Realsatire kommt nämlich
beunruhigend realistisch mit ihrer gesellschaftlichen Entwicklung daher. Immerhin
postuliert der Meister vor 5000 Ballgästen und Millionen Fernsehzuschauern, was jetzt
Sache ist in Österreich: LIMES ist vollkommen! Und niemand, der sich uns in den Weg
stellt, wird ungeschoren davonkommen...
Fazit: Franzobel so gut und so bitter wie nie zuvor, grantig der schwarze Humor, schräg
die Figuren und das Ganze zu einem spannenden Hexengebräu aufbereitet. Und um eine
Verfilmung wird dringend gebeten!
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