LUKAS LINDER: „DER LETZTE MEINER ART“


Wenn eine Familie seit über 500 Jahren existiert, muss man mit einem gewissen Maß an Degeneration rechnen. Die schlägt bei denen von Ärmels, angesehene Adelsfamilie im schweizerischen Bern, nun voll durch. Da hat dann der jüngste Abkömmling besonders schwer, denn auf ihm liegt die Last, die letzten brauchbaren Gene in die Zukunft zu retten.
Dieser Alfred von Ärmel steht nun als Ich-Erzähler im Mittelpunkt von Lukas Linders Roman „Der Letzte meiner Art“. Es ist zwar Linders Erstling, allerdings kredenzt der renommierte Dramatiker und Theatermann ein Werk voller funkelnder Prosa und so manchem zitierwüprdigem Satz. Wie den zur Charakterisierung der kunstsinnigen exaltierten Mutter Alfreds: „Statt zu denken, zog sie es vor, zu wirken.“
Alfred, anfangs ganze zehn Jahre alt und nicht nur mit einem stets vorgezogenen und offenbar viel begabteren älteren Bruder belastet, sieht sich vor der schier unlösbaren Aufgabe, dereinst Großes vollbringen zu müssen für die Wahrung der Familienehre. Wie einst vor 500 Jahren sein Namensvetter, der als „Schlächter von Morignano“ unvergessen geblieben ist, weil er damals 40 Franzosen mit der Hellebarde erledigte.
Doch schon seine Vorgeschichte des jetzigen Alfred hat etwas Tristes, denn seine ausgeflippte und als Schönheit gerühmte Mutter verliebte sich einst in den Clown Ruedi. Als welcher sich Alfreds Vater seinerzeit wegen einer läppischen Geste gegenüber dem echten Clown verkleidete, wobei er in realiter ein extrem einseitig nur an seinen Erzeugnissen als Wimpelfabrikant interessierter Oberlangweiler ist. Alfreds Vorzeigebruder Thomas mit dem großen Geigentalent flüchtet dann bereits mit 14 aus dem erratischen Heim des großen Desinteresses und auch die Großeltern sind so, wie man sie ungern jemandem wünschen würde.
Da verwundert kaum, dass sich dieses skurrile Geschlecht schließlich beim Familienfoto von hinten fotografieren lässt: „In meiner Familie ist die Kehrseite die bessere Seite.“ Mit melancholischer Selbstironie schleppt sich der wahrlich nicht zu beneidende Alfred durch Familienleben, Schule und Pubertät und immer derartig konstant ins dritte Glied geschoben, dass sein Schulkamerad Hannes schließlich konstatiert: „Du bist ein Missverständnis.“
Immer wieder kommen Alfred absurde Ideen, wie er das Desinteresse an seiner arg mittelmäßigen Person überwinden könnte. Worüber seine Mutter vor lauter Weltenüberdruss gar in einen Dauertiefschlaf fällt. Dieser Un-Held scheitert derartig schonungslos auf ganzer Linie, dass eine Weitergabe seiner Gene eher verzichtbar erscheint. Fazit: ein irgendwie seltsames Buch auf hohem sprachlichen Niveau, das eigentlich zu gar nichts führt, jedenfalls nicht zu einem Ziel. Vielleicht kommt einer wie Alfred von Ärmel ja auch nie irgendwo an...

# Lukas Linder: Der Letzte meiner Art; 271 Seiten; Kein & Aber Verlag, Zürich; € 19

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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